Die Drachenflotte (German Edition)
auf Wahrheit beruhte, und an der ganzen Westküste der USA nach Zeugnissen dafür gesucht, dass hier im 15. Jahrhundert chinesische Schiffe gelandet waren. Als er am Ende mit leeren Händen dastand, begann er an der Ostküste zu suchen und arbeitete sich von da durch Mittel- und Südamerika nach Süden vor. Er beackerte sämtliche Strände, führte zahllose Gespräche mit den Leitern lokaler Museen und Hobbyhistorikern, und als kein Stück amerikanischer Küste mehr übrig war, wandte er sich zuerst den Inseln im Atlantischen und Pazifischen Ozean zu und schließlich Afrika. Insgesamt verkündete er nicht weniger als siebenmal die Entdeckung eines chinesischen Schatzschiffs. Die ersten sechs Male handelte er sich nichts als öffentliche Blamagen ein, dennoch ließ er nicht locker und kam schließlich nach Madagaskar, wo ihm auf dem Gelände eines Urlaubshotels in Morombe eine verrostete Kanone auffiel. Noch nie hatte sich jemand groß Gedanken über sie gemacht; die Entdeckung alter Kanonen war keine Seltenheit an dieser Küste, vor der im Lauf der Jahrhunderte eine enorme Zahl von Schiffen, die zwischen Europa und Indien verkehrten, gesunken waren. Doch Ricky erkannte auf den ersten Blick, dass diese Kanone etwas Besonderes war. Es war eine chinesische Kanone aus dem 15. Jahrhundert.
«Sind Sie also seiner Meinung?», fragte Lucia. «Dass ein Schatzschiff es tatsächlich bis nach Amerika geschafft haben könnte?»
«Ich bin Wissenschaftler», antwortete er. «Ich folge Beweisen.»
«Und wo sind die?»
Knox deutete mit einer Kopfbewegung zu Dieter Holm, der in diesem Moment mit einer Laptoptasche über der Schulter und einer Kiste mit Ringordnern die Treppe heraufkam. «Genau das werden wir jetzt erfahren.»
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Kapitel 4
I
R ebecca schlug das Herz bis zum Hals, als sie den Hörer abnahm. «Ja? Rebecca hier.»
«Rebecca? Chérie? C’est Pierre ici . Pierre Desmoulins.»
«Pierre. Was ist? Was ist passiert?»
«Bitte.» Seine Stimme klang angestrengt, dünn, fern. «Gerate nicht gleich in Panik. Wir wissen noch nichts mit Sicherheit.»
«Sag mir, was los ist.»
« Chérie , sie haben das Boot deines Vaters draußen auf See gefunden. Personne à bord. »
«Wann?»
«Gestern Abend. Und niemand hat deinen Vater und deine Schwester seit gestern Morgen gesehen.»
«Emilia?» Rebecca konnte kaum sprechen. «Emilia auch?»
«Es tut mir leid», sagte Pierre. «Aber du darfst die Hoffnung nicht aufgeben.»
«Was ist mit dem Kleinen, Michel?»
«Er ist gesund und munter», antwortete Pierre. «Emilia hat ihn bei Therese gelassen, bevor sie rausgefahren ist.»
«Sucht ihr nach ihnen?»
«Ich selbst nicht, noch nicht. Ich bin auf einer Konferenz in Antananarivo, ich habe es selbst eben erst erfahren. Ich wollte dir so schnell wie möglich Bescheid geben. Aber natürlich suchen alle hier nach ihnen.»
«Ich komme mit der nächsten Maschine.» Jetzt, da sich der schlimmste Verdacht bestätigt hatte, war Rebecca ganz ruhig. Als wäre alles weit weg von ihr. «Ich nehme die nächste Maschine», sagte sie noch einmal.
«Gut. Das ist sicher sinnvoll. Und ich sorge inzwischen –» Dann brach die Verbindung ab.
«Pierre?», rief sie. «Pierre?» Aber sie hörte nur das Besetztzeichen. Telefonieren mit Madagaskar war häufig Glückssache. Sie legte auf und starrte hilflos und wie betäubt auf das Telefon, wartend, dass Pierre zurückrufen würde.
Schwungvoll flog die Tür zu ihrem Büro auf. Mit besorgter Miene, als hätte er genug mitgehört, um alarmiert zu sein, trat Titch zu ihr. «Was ist passiert?», fragte er. Versteinert wiederholte sie, was Pierre ihr berichtet hatte. «Mein Gott, das tut mir leid», sagte er erschrocken. «Was können wir tun?»
«Ich muss nach Madagaskar», sagte Rebecca. «So schnell wie möglich. Sofort. Noch heute Nachmittag.»
Titch nickte. «Ich kümmere mich darum.»
Rebecca stand plötzlich ein Bild ihres Vaters vor Augen, wie sie ihn zuletzt gesehen hatte. Ein wenig gebeugt vom Verlust, mit weißem Haar und immer feuchten Augen. Und dann ihrer Schwester Emilia, die drei Jahre jünger war als sie, ein eigensinniger Teenager damals, voller Ideen, die so schnell und üppig sprudelten, dass sie mit Worten nicht nachkam, jetzt eine Frau mit einem kleinen Sohn, der noch kein Jahr alt war. Ein schwarzes Loch tat sich in ihr auf, ein grauenhafter Schwindel erfasste sie einen Moment lang.
Wieder wurde ihre Bürotür geöffnet, Nicola kam herein, den Blick
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