Die Drachenflotte (German Edition)
Tauchgang und konnte ohnehin erst heute Abend informiert werden.
Er nahm sich einen Stuhl, aber es fiel ihm schwer, still zu sitzen, bald war er wieder auf den Beinen und ging im Zimmer auf und ab. Ihre erste Aufgabe war es gewesen, den vermuteten Fundort mit Hilfe von Sonargeräten zu vermessen und Sedimentproben zu entnehmen. Dieter Holm und seine Leute hatten rund um die Uhr gearbeitet, um diese neuen Daten auszuwerten und mit ihrer Hilfe ein dreidimensionales Profil des Wrackhügels zu erstellen, das ihnen eine klarere Vorstellung davon liefern sollte, wie er am besten anzugehen war. Der heutige Abend markierte den Beginn des eigentlichen Bergungsunternehmens, und Knox spürte eine erwartungsvolle Spannung, wie er sie seit gut zwei Jahren nicht mehr erlebt hatte.
Ricky hatte die Wände dieses Raums, in dem meistens die Presse- und Fernsehinterviews stattfanden, mit allerlei Requisiten geschmückt: Porträts von Zheng He, Reproduktionen alter bildlicher Darstellungen seiner Flotte, Fotografien von Artefakten auf dem Meeresgrund und Reproduktionen mittelalterlicher Weltkarten. Vor einer von ihnen blieb Knox stehen. Sie galt, recht optimistisch, als die Karte Zheng Hes und zeigte beide Hemisphären der Erde mit Asien, Afrika und Europa auf der einen und Amerika auf der anderen Seite. Obwohl die Karte aus dem 18. Jahrhundert stammte, waren Ricky und viele andere davon überzeugt, dass sie eine Kopie einer früheren Karte war, von Zheng He um 1420 selbst gezeichnet, und daher der schlagende Beweis dafür, dass die Chinesen Amerika entdeckt und kartographiert hatten. Knox hätte dieser These vielleicht offener gegenübergestanden, wäre bei der Erstellung der Karte nicht die von Mercator erst hundert Jahre später erdachte Mercator-Projektion verwendet worden und hätte sich nicht auf ihr die Bezeichnung «Amerika» befunden, obwohl Amerigo Vespucci erst dreißig Jahre später geboren worden war.
«Wenn’s nach Ron geht, blüht uns heute Abend wieder so ein verdammtes Curry», sagte Miles und knüllte ein weiteres Blatt Papier zusammen.
«Na, Mahlzeit», sagte Knox. «Mein Magen hat sich gerade erst vom letzten erholt.» Er ging weiter zu einer Fotografie des Wrackhügels. Unglaublich, welche Fortschritte die Unterwasserarchäologie in den letzten Jahrzehnten gemacht hatte. Aber nicht alles daran war gut. Mit Hilfe der neuen Tiefseetechnologie war es geschäftstüchtigen Schatzsuchern gelungen, die reichsten Wracks aufzuspüren und sie ohne Rücksicht auf ihre historische Bedeutung auszuplündern. Im Zuge einer heftigen Gegenreaktion war ein internationales Abkommen geschlossen worden, das moderne Bergungsunternehmen verpflichtete, die Wracks selbst mit weit mehr Sorgfalt und Achtsamkeit zu behandeln, anstatt sich nur für ihre Fracht zu interessieren. Als Folge davon waren nun die grundlegenden Prozesse des Entstehens solcher Wrackfundstellen recht gut erforscht. Bei diesem Wrack beispielsweise konnte man ziemlich sicher sein, dass das Schiff beim Aufprall am nahe gelegenen Riff einen Rumpfbruch davongetragen hatte. Es musste ein schwerer Schaden gewesen sein, denn die chinesischen Schiffe hatten, der westlichen Technik weit voraus, damals bereits wasserdichte Querschotten gehabt, um solche Schäden zu begrenzen. Bei einem Rumpfbruch sanken Schiffe normalerweise auf eine von zwei Arten: Entweder übte das Gewicht des Wassers einen solchen Druck auf den Rumpf aus, dass das Heck einfach abbrach; oder, was häufiger der Fall war, das Wasser schwappte ungebremst von einer Seite zur anderen, sodass das Schiff immer heftiger auf den Wellen hin und her geworfen wurde, bis es schließlich den kritischen Punkt erreichte und kenterte. Artefakte wurden von den Decks gerissen und verteilten sich in einem Streumuster, wie sie es hier vorgefunden hatten, auf dem Meeresgrund, während das Schiff selbst von seinem Ballast, den Eisenteilen und der Fracht fest auf dem Boden verankert wurde. Die Strömung häufte Sedimente an ihm auf wie Schneewehen vor einer Mauer, die steigenden Druck auf die kalfaterten Planken des Rumpfs ausübten, bis diese nicht mehr standhalten konnten und brachen und das ungeschützte Innere freigaben. Entenmuscheln, Schiffsbohrwürmer, Nassfäulepilze und Bakterien siedelten sich an. In warmen, fruchtbaren Gewässern wie diesen verrottete der Rumpf dann schnell und mit ihm Textilien, Nahrungsmittel, menschliches und tierisches Gewebe sowie anderes organisches Material, bis nur noch feinste Spuren übrig
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