Die Drachenflotte (German Edition)
sie auf das Riff zu. Sie hatte nicht viel Zeit. «Sag mir, was passiert ist», rief sie.
Er sah klein und geduckt aus. «Es war ein Geschenk des Himmels, Becca», sagte er. «Und dein Vater wollte es einfach weggeben.»
«Du hast ihm diese E-Mail geschrieben und bist dann hierher zurückgekommen, um ihn zu beobachten.»
«Nein.»
Sie wandte sich ab und ging. Er schrie verzweifelt hinter ihr her. «Ich schwöre es, Rebecca. Die E-Mail war einfach ein plötzlicher Einfall. Ich wollte Lalao und Marie-Claire bitten aufzupassen, wohin dein Vater segelt. Von verschiedenen Standorten aus, verstehst du?»
Rebecca ging zurück. «Ja, sehr gut», sagte sie kalt.
«Aber ich habe die beiden gar nicht erreicht. Wirklich nicht. Es ist nichts passiert.»
«Nichts, außer dass mein Vater und meine Schwester umgekommen sind», sagte sie bitter. «Sie waren deine Freunde . Sie haben alles für dich getan. Wie konntest du sie so verraten?»
Immerhin machte er jetzt ein beschämtes Gesicht. «Meine Frauen, meine Kinder, Rebecca. Glaubst du, das Leben ist umsonst? Bitte, Becca.» Er hockte sich auf die Knie, um ihr seine auf dem Rücken gebundenen Hände zu zeigen. «Nimm mir die Fesseln ab. Bitte.»
Sie schüttelte den Kopf, zu zornig, um ihn auch nur anzusehen. Sie hatte ohnehin keine Zeit. Die Wellen stießen sie unerbittlich dem Riff entgegen. Das Cockpit stand unter Wasser, der Motor war abgestorben. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie versuchte, ihn zu starten, und es nicht schaffte. Erst bei ihrem dritten Versuch wurde er Gott sei Dank lebendig. Sie wendete die Yvette und gab Gas. Es wurde von Minute zu Minute heller, und ihr Zorn verlieh ihr die Entschlossenheit, die sie jetzt am Steuer brauchte. Sie erreichte die Passage und lenkte das Boot zurück in die ruhigen Gewässer der Lagune.
Der Himmel im Osten war vom blassen Licht des frühen Morgens erhellt. Sie war todmüde. Daniel musste doch schuldig gewesen sein. Ja, er musste schuldig gewesen sein, jeder andere Gedanke wäre unerträglich gewesen. Er war gierig gewesen. Auf der Jagd nach dem Schatz war er hier heruntergekommen und hatte ihren Vater und ihre Schwester ermordet. Er hatte verdient, was er bekommen hatte. Aber jedes Mal, wenn sie sich beinahe selbst überzeugt hatte, spürte sie wieder seine Hand an ihrem Fußgelenk und spürte, wie er sie ohne Zögern losgelassen, sich geopfert hatte, damit sie leben konnte. Handelte so ein Mörder? Oder ein Psychopath? Wie unter Schock führte sie die Yvette nach Eden zurück und schaltete den Motor erst aus, als der Rumpf knirschend in Sand stieß. Ihre Hände begannen unkontrolliert zu zittern, als forderte ihr Körper jetzt den Tribut für alles, was sie ihm zugemutet hatte.
Pierre bettelte immer noch heulend um Befreiung, aber sie konnte und wollte ihn jetzt nicht sehen, noch nicht. Sie stieg zur Kajüte hinunter, wo Emilia mit dem Gesicht nach unten in ein paar Zentimetern Wasser auf dem Boden lag. Sie stellte das Bett gerade, hievte sie wieder hinauf und versuchte, die Sandrinnsale nicht zu beachten, die aus Nasenlöchern und Mund rieselten. Die Yvette kippte plötzlich auf ihrem Kiel zur Seite, und Wasser schwappte in einer niedrigen Welle über den Boden, die alles Mögliche mit sich führte, unter anderem Emilias Kamera, ebendie, deren Verschwinden ihre Zweifel an Daniel geweckt hatte.
Sie fühlte sich leer, als sie sie aufhob und ansah. Hinten war ein Haken gebrochen, dadurch war die Schlaufe herausgerutscht. Sie erinnerte sich, dass Daniel gestolpert war, als er Emilia den Niedergang hinuntergetragen hatte. Dabei musste die Kamera irgendwo hängengeblieben und der Haken gebrochen sein. Sie schaltete sie ein. Es war eine Digitalkamera, auf deren Display man die letzten Aufnahmen sehen konnte. Sie sah sich eine nach der anderen an. Adam vor dem Haupthaus mit einer Druckluftflasche über der Schulter. Emilia mit Michel beim Sandspielen. Dann ein Foto von Therese, die mit Michel auf dem Arm winkte. Jetzt draußen auf dem Boot, glitzerndes Sonnenlicht auf türkisfarbenem Wasser und in der Ferne das weiße Segel einer Piroge. Adam, wie er lachend den Reißverschluss an seinem Taucheranzug hochzog; dann noch eins von ihm, diesmal in voller Montur, bereit zum Tauchen. Und nirgends eine Spur von Daniel oder Pierre oder sonst jemandem. Immer nur Adam und Emilia.
Sie blickte zu Emilia hinunter. Jetzt, da das Leintuch sie nicht mehr bedeckte, bemerkte sie das blutig aufgeschürfte linke Bein und das
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