Die Drachenflotte (German Edition)
Scheitel einer Dünungswelle abzurutschen, und die Talfahrt nahm kein Ende. Sein Blick flog an Rebecca vorbei. Er wurde blass und verdoppelte seine Anstrengungen, sich zu befreien. Rebecca schaute sich um. Über ihnen türmte sich der schaumgekrönte Scheitel einer Riesenwelle, die schnell auf sie zuhielt. Die Yvette lag schon tief in ihrem Tal. Einen Moment lang konnte Rebecca den Blick nicht wenden vor Entsetzen, dann schaute sie zu dem jetzt verzweifelt kämpfenden Daniel hinunter, der hilflos zu ihren Füßen lag, gefesselt und mit der Tasche beschwert, dem sicheren Tod geweiht. Und in dieser Sekunde erkannte sie, dass alle belastenden Beweise dieser Welt nichts bedeuteten. Sie warf sich auf ihn, umklammerte ihn mit Armen und Beinen, hielt sich an einem Ladebaum fest, um nicht weggespült zu werden, holte tief Atem und hielt die Luft an, als die Welle sie vor sich herschob, die Yvette beinahe auf die Seite kippte und sie mehrere Sekunden lang mit sich riss, sodass Rebecca überzeugt war, sie würden kentern. Aber Adam hatte beim Bau seines Boots mehr auf Stabilität und Sicherheit gesetzt als auf Geschwindigkeit. Die Welle raste über sie hinweg, und die Yvette richtete sich wieder auf, triefnass und ächzend, aber unbeschadet. Sie drückte ihren Kopf an Daniels Schulter, froh, dass er noch da war, und schluchzte vor Erleichterung.
Einen Augenblick später vernahm sie das Zischen und drehte sich um. Die schwere Tasche war über Bord gespült worden, und das Seil, mit dem sie an Daniels Fußgelenken festgeknotet war, rollte sich schnell aus. Es erreichte seine volle Spanne, und mit ihm wurden Daniel und sie über das klatschnasse Deck zur Reling gezogen. Sie hielt ihn eisern fest, kämpfte in einem verzweifelten Tauziehen vergeblich darum, Boden gutzumachen, konnte aber wenigstens die Position halten und ihm so Zeit verschaffen, seine Hände zu befreien. Ihre Arme wurden müde. Ihre Schulter tat weh. Die Knoten an seinen Hand- und Fußgelenken waren durchweicht und hatten sich zusammengezogen. Die Yvette kippte wieder zur Seite. Rebecca blickte nach oben und erschrak. Riesenwellen traten manchmal paarweise auf, diese hier war womöglich sogar noch gewaltiger. Daniel begann, schnell und tief zu atmen, um seine Lunge mit Luft zu füllen. Dann brach die Welle über sie herein, erfasste sie beide und schleuderte sie über Bord. Immer noch hielt Rebecca Daniel fest, aber das Gewicht an seinen Füßen zog ihn abwärts und sie mit ihm. Sie sanken schnell, er begann ihr zu entgleiten. Sie packte seinen Ellbogen, ihre Hand rutschte seinen Unterarm hinunter zu seinem Handgelenk. Sie wollte nicht loslassen, aber er war zu schwer für sie und wurde fortgerissen. Doch es musste ihm gelungen sein, seine Hände zu befreien, im letzten Moment packte er ihr Fußgelenk und zog sie mit sich. Ihre Lunge schien zu bersten, sie wusste, dass sie beide verloren waren, wenn sie sich nicht befreite. Aber bevor sie ihn wegstoßen konnte, ließ er sie einfach los.
Sie schwamm nach oben und schnappte nach Luft, kaum dass sie die Wasseroberfläche durchstoßen hatte. Hektisch sah sie sich nach Daniel um, hoffte inständig, er würde neben ihr auftauchen. Nirgends eine Spur von ihm. Sie wartete, ließ sich von den Wellen tragen, während sie um sich herum suchte, ohne etwas zu entdecken. Immer wieder tauchte sie, wedelte hoffnungsvoll mit den Armen, aber es war sinnlos in der Finsternis. Das Herz wurde ihr immer schwerer, während Sekunden sich zu Minuten häuften. Sie spürte noch seine Hand an ihrem Fußgelenk. Sie spürte, wie er sie losgelassen hatte.
Die Yvette hatte sich wieder aufgerichtet. Sie war vielleicht fünfzig oder sechzig Meter entfernt und wurde stetig dem Riff entgegengetrieben. Rebecca musste zurück zu ihr. Die höchsten Wellen waren über sie hinweggerast, aber es war immer noch hoher Seegang, und Rebecca musste kämpfen, um mit ihm fertigzuwerden. Ihre verletzte Schulter quälte sie, doch sie schaffte es endlich. Sie schwamm zur Heckleiter und zog sich an Bord. Unten im Schiffsraum klopfte und schrie Pierre fast außer sich vor Angst. Ihn hatte sie ganz vergessen. Durch die demolierte Steuerbordluke schaute sie zu ihm hinunter. Immer noch an Händen und Füßen gebunden, aber ohne den Knebel, den er irgendwie heruntergezogen hatte, hockte er in etwa dreißig Zentimeter Wasser.
«Lass mich raus», bettelte er, als er sie bemerkte. «Lass mich raus, bitte. Ich wollte nichts Böses. Ich schwöre es.»
Die Wellen trieben
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