Die Drachenflotte (German Edition)
ab und ging voraus zum Ausgang.
«Wo gehst du hin?», fragte sie.
«Mein Wagen steht draußen.»
«Dein Wagen?»
«Wenn wir gleich starten, können wir heute Abend in Toliara sein.»
«Ich fliege», sagte sie. «Dann bin ich schon heute Nachmittag dort. Komm doch mit.»
«Das geht nicht. Ich bin mit dem Auto hier.»
«Herrgott noch mal», sagte sie.
«Willst du, dass ich es hier stehenlasse?»
«Ich will, dass du alles tust, um meinen Vater und meine Schwester zu finden», erwiderte sie. «Emilia ist deine Geliebte, Pierre. Sie ist die Mutter deines Kindes. Mein Vater ist seit mehr als dreißig Jahren dein engster Freund. Und du sorgst dich um dein verdammtes Auto?» Sie schüttelte den Kopf. «Was zum Teufel tust du noch hier? Warum bist du nicht längst zu Hause und leitest die Suchaktion?»
Pierre wurde ein wenig rot. «Ich bin deinetwegen hier», sagte er. «Mir war der Gedanke unerträglich, dass du nach Hause kommst und niemand da ist, um dich zu empfangen – nach diesen langen Jahren und unter diesen Umständen. Und ich dachte, du brauchst vielleicht jemanden, der dich fährt.»
«Ich hab dir doch gesagt, ich fliege.»
«Ja, aber das wusste ich nicht.»
Wieder schüttelte sie den Kopf, immer noch aufgebracht, obwohl es ihr schwerfiel, ihren Zorn zu rechtfertigen. Sie standen der automatischen Glastür so nahe, dass diese sich immer wieder öffnete und schloss und kurze Blicke auf den hellen Sonnenschein bot, der draußen winkte. Sie drehte sich um und ging ins Freie hinaus. Der frisch geteerte Parkplatz glänzte von einem kürzlich niedergegangenen Regenschauer, der Schwaden scharfer Gerüche freigesetzt hatte: aus den braun-grauen Zebufladen, die wie abgeschnittene Fußsohlen von Elefanten zur Düngung auf den Rasenstreifen verteilt lagen; aus den schweißgetränkten Kleidern der Träger, Arbeiter und Händler; aus den silberschwarzen Abgasen, die von klapprigen Taxis, Bussen und Lastwagen ausgespien wurden. Ganz zart jedoch nahm sie auch feinere Düfte wahr, von Frangipani, Vanille und Hibiskus. Sie atmete tief ein. Der Geruchssinn, sagt man, sei derjenige unter den Sinnen, der am stärksten auf die Erinnerung wirkt. Elf Jahre. Elf Jahre. Und doch waren augenblicklich die alten Gefühle wieder da, beklemmend wie damals. Einen Moment lang war sie wieder achtzehn Jahre alt, unsicher und voller Ängste, im Begriff, alles zurückzulassen, was ihr je vertraut gewesen war. Sie schauderte, als wäre ein Geist durch sie hindurchgehuscht.
Madagaskar: die große rote Insel, der achte Kontinent, das Land ihrer Geburt.
III
Die Bayliner war schon voll, als Knox seine Taucherausrüstung und seine Reisetasche aufs Boot hievte. Gary war am Steuer, hinter ihm saß mit Gewittermiene Dieter Holm Seite an Seite mit Ron, ihrem Schiffssteward, der in Morombe frischen Proviant einkaufen wollte. Lucia hatte auf der gepolsterten Bank im Heck Platz genommen. Knox deponierte seine Sachen auf dem allgemeinen Gepäckhaufen und setzte sich zu ihr. «Was hat das denn zu bedeuten?», fragte sie lächelnd. «Verlassen Sie das sinkende Schiff?»
Er überlegte einen Moment, bevor er sich entschloss, ihr reinen Wein einzuschenken. Sie wollte ja auch nach Eden und würde früher oder später erfahren, was los war. «Sie haben mir doch erzählt, dass Sie die Kirkpatricks nicht erreichen konnten», sagte er. «Die beiden werden vermisst. Ich fahre jetzt runter, um bei der Suche zu helfen.»
«Ich dachte, Sie kennen sie nicht.»
«Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, dass sie hier an der Küste ziemlich bekannt sind.»
Sie warf ihm einen amüsierten Blick zu. «Sollte ich also jetzt alles, was Sie mir gestern erzählt haben, auf die Goldwaage legen?» Aber ihrem Ton fehlte jede Schärfe. Sie war Journalistin, sie wusste, wie das lief. «Und woher kennen Sie die beiden?»
«Eigentlich kenne ich nur Emilia. Sie war vor kurzem ein paar Tage in England. Da sind wir uns begegnet.»
«Ah, so ist das also?»
In diesem Moment gab Gary Vollgas, das Aufheulen des Motors ersparte ihm die Antwort. Aber Lucias Frage weckte Erinnerungen. Es war eine schwere Zeit für ihn gewesen, in der er verzweifelt versucht hatte, den Weg in ein Leben ohne Gaille zu finden. Vor ihrem Tod hatte er sich nie klargemacht, wie eng sie miteinander verbunden waren, wie abhängig er tatsächlich von ihr war. Die Tage waren dank seiner Arbeit bei MGS zu bewältigen gewesen, doch die Nächte waren tödlich, kaum zu ertragen. Miles und Frank hatten
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