Die Drachenflotte (German Edition)
sich nach Kräften bemüht, ihm aus der Depression herauszuhelfen. Sie luden ihn abends ins Pub ein oder zu sich nach Hause zum Essen, aber die gezwungene Fröhlichkeit dieser Abende war grauenhaft. Er begann, sie zu fürchten, nicht nur um seiner selbst willen, sondern weil er allen anderen die Stimmung verdarb und das entsetzlich fand. Nach einer Weile lehnte er die Einladungen ab und verkroch sich lieber in seinem kleinen Apartment, ernährte sich von Pizza und trank sich auf dem Sofa vor dem Fernseher in den Schlaf. Seine Selbstdisziplin bröckelte. Er ließ sich gehen, kam verkatert und mit einer Alkoholfahne zur Arbeit, und obwohl er wusste, dass man ihn früher oder später an die Luft setzen würde, änderte er nichts.
In dieser Phase war Emilia Kirkpatrick in sein Leben getreten.
Es war an einem Freitag spätnachmittags, kurz nach einem besonders heftigen Kälteeinbruch. Sie war am Morgen eigentlich mit Frank verabredet gewesen, aber der Termin war infolge eines verspäteten Flugs geplatzt und Frank nach Harwich gefahren, um sich ein Boot anzusehen. Sie waren alle beim Aufbruch ins Wochenende, als sie hereinschneite, und da die anderen schon Pläne für den Abend hatten, fiel Knox die Aufgabe zu, sich ihrer anzunehmen. Er riet ihr, am Montag wiederzukommen, da sei Frank zurück, aber sie war eigens zu diesem Termin aus Madagaskar angereist und weigerte sich rundweg, unverrichteter Dinge wieder zu gehen. Schließlich erklärte er sich bereit, in einer Weinbar in der Nähe mit ihr zu sprechen. Ein Glas Wein führte zum zweiten; das dritte zum Abendessen. Und plötzlich, vielleicht hervorgerufen durch dieses Zusammensein mit einer anziehenden und mitfühlenden Frau, brach der ganze Schmerz um Gaille sich gewaltsam Bahn. Er schüttete ihr sein Herz aus, unfähig, die Tränen zurückzuhalten, was an den Nachbartischen solches Aufsehen erregte, dass er sich gezwungen fühlte, das Lokal zu verlassen. Emilia begleitete ihn im Taxi nach Hause und blieb bei ihm, verbrachte fast das ganze Wochenende mit ihm im Bett, wo sie ihm zärtlich und unendlich geduldig zuhörte, nun, da der Damm endlich gebrochen war und der Schmerz frei fließen konnte.
Und am Montagmorgen, als er mit ihr in die Firma fuhr, um die Bergung der Winterton zu besprechen, stellte er überrascht fest, dass er sich auf den Tag freute. Zum ersten Mal seit Gailles Tod regte sich ein Funken neuer Lebensfreude. Und das verdankte er, wie er Miles gesagt hatte, Emilia. Ohne ihr Zutun wäre er mit großer Sicherheit jetzt arbeitslos und würde sich in irgendeinem elenden Loch am Stadtrand von Howe zu Tode saufen.
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Kapitel 8
I
A m Flughafen von Antananarivo musste Boris fast eine Stunde auf Davit warten. Die Anzeigetafel für die ankommenden Flüge funktionierte nicht, und er befürchtete schon, dass sie ihren Weiterflug nach Morombe verpassen würden.
«Hey, Boss», sagte Davit, als er endlich erschien, zerknautscht und müde vom Flug, aber dennoch in aufgekratzter Stimmung.
Boris nickte nur grimmig, um ihn wissenzulassen, dass er Griechenland nicht vergessen hatte. «Wir müssen uns schleunigst auf die Socken machen», sagte er kurz.
Die Maschine nach Morombe war eine uralte Twin Otter. Sie stank nach Dieselöl, und drinnen war es so eng, dass Boris den Kopf einziehen musste, als er durch den Gang zu seinem Platz ging. Auch Davit kam nur in gekrümmter Haltung voran und musste sich dann schräg setzen. Der Start war eine Anstrengung, die die Motoren hörbar bis aufs Äußerste belastete, bevor diese ganz aussetzten und die Maschine so tief durchsackte, dass mehrere Passagiere laut aufschrien und selbst Boris sich an die Armlehnen seines Sitzes klammerte, bis sie wieder stiegen.
Er schaute zum Fenster hinaus. Die Hauptstadt der Insel war von üppigen grünen Reisfeldern umgeben, die schnell unter ihnen schrumpften. Sie überquerten Berge, Wälder und Seen. Obwohl sie ziemlich tief flogen, konnte Boris nicht eine einzige Straße erkennen. Turbulenzen schüttelten und rüttelten die Maschine. Durch den fadenscheinigen Vorhang, der die Kabine vom Cockpit trennte, sah er, wie der Pilot mit der flachen Hand hart auf eines seiner Messgeräte schlug. Der Abgasgestank wurde stärker. Auf der anderen Seite des Gangs öffnete eine alte Frau eine Spucktüte und übergab sich beeindruckend damenhaft, als wollte sie sich nur räuspern. Als sie fertig war, rollte sie die Tüte oben zusammen und hielt sie im Schoß wie ein Lunchpaket, aber
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