Die Drachenflotte (German Edition)
angegeben.»
«Er hat ein bisschen verlegen dreingeschaut», meinte Knox. «Haben Sie ihn gefragt, ob er sucht?»
«Ja.»
«Was ist los mit diesen Leuten?»
«So einfach ist das nicht. Sie fahren nicht gern zu den Riffen vor Eden hinüber.»
«Warum nicht?»
Sie antwortete nicht gleich. Es war nicht so einfach, es richtig zu erklären. «Haben Sie schon mal von der Allmendeproblematik gehört?», fragte sie schließlich. «Es geht dabei um die Frage, warum die gemeinschaftliche Nutzung von Ressourcen nicht funktioniert. Stellen Sie sich vor, Sie leben dicht an einem großen Wald. Nach dem Gemeindegesetz gehört jeder Familie in der Gemeinde ein Teil dieses Waldes, und jeder Eigentümer kann mit seinem Stück Wald verfahren, wie es ihm beliebt. Aber wenn Ihre Familie auf einen Schlag alle Bäume fällte, die ihr gehören, dann wär’s das für Sie gewesen, die der anderen dürfen Sie ja nicht anrühren. Folglich werden Sie Ihr Eigentum lieber pflegen und vor Dieben schützen, nur so viel Holz fällen, wie Sie brauchen, und neue Bäume nachpflanzen. Denn an diesem Stück Wald hängt ja die Existenz Ihrer Familie.»
«Logisch, ja.»
«Jetzt stellen Sie sich ein anderes Dorf ebenfalls mit Wald vor, der allen gemeinsam gehört.»
«Der wäre im Nu gefällt», kommentierte Knox.
«Richtig, ein großes Gelage und danach ewiger Hunger», sagte Rebecca. «Das ist die Tragik der Allmende. Ein gutes Beispiel ist die Fischerei. Das Meer ist niemandes Eigentum, aber was man fängt, gehört einem, also wird gefischt und gefischt, bis nichts mehr da ist. Früher war hier alles in Ordnung, es gab reichlich für jeden. Aber die Dörfer wachsen, und die Lagune versandet, der Druck auf die Bestände ist untragbar geworden. Mein Vater hat versucht, mit den Leuten eine Vereinbarung auszuhandeln, das Fischen in den Gewässern vor Eden zu unterlassen, damit die Fische sich dort ungestört vermehren und so die Bestände erhalten werden können. Das klappte eine Zeitlang, aber dann gab es die ersten Schummler, die, die sich an die Vereinbarung hielten, waren sauer, und sehr schnell galt wieder jeder gegen jeden.»
«Und was hat Ihr Vater getan?»
«Es gibt hier das sogenannte fady , so eine Art Tabu. Mit sehr mächtiger Wirkung. Fady werden nicht nur respektiert, sie werden gefürchtet. Mein Vater meinte, am wirkungsvollsten wäre es, Eden mit einem fady zu belegen. Die Frage war nur, wie. Die Menschen hier lieben Geschichten. Bevor es das Fernsehen gab, haben sich abends immer alle zusammengesetzt, mit Rum und Marihuana zugedröhnt und einander die tollsten Storys erzählt. Mein Vater, der eigens Malagasy gelernt hat, damit er da mitmachen konnte, hat schließlich einfach die Odyssee und andere griechische Sagen hierher verpflanzt. Da ging’s dann um Schiffe, die an gewaltigen Felsen zerschellten, Seefahrer, die von einäugigen Seeungeheuern geraubt und aufgefressen wurden, Familien, die über Generationen mit einem Fluch beladen waren, Riesenkraken, die mit ihren Fangarmen grauenvolle Blasen auf der Haut der Menschen hinterließen, sodass bei den Männern der Penis schrumpfte und abfiel.»
«Aua!»
«Er hat sogar Fotos gefälscht und sie herumgezeigt. Es hat nicht lange gedauert, da behaupteten sämtliche Fischer, sie hätten das alles mit eigenen Augen gesehen, nur noch größer und gruseliger. Niemand glaubt so fest an eine Lüge wie derjenige, der selbst zu ihr beiträgt. Innerhalb eines Jahres ließ sich keiner mehr in Eden blicken, nicht einmal in der Ambulanz, weil alle viel zu große Angst hatten. Meine Mutter musste die Wege durchs Wasser mit Zaubersprüchen sicher machen.» Sie lächelte. «Meine Mutter war eine mächtige Zauberin.»
«Mit anderen Worten, diese Leute sind bereit, überall zu suchen, nur nicht vor Eden, genau da, wo Sie ihre Hilfe brauchen.»
«Das fady hat im Lauf der Jahre an Kraft verloren, aber es besteht noch. Und wenn ich es jetzt ganz löse, dann wird das eine Katastrophe für die Fischbestände. Das könnte ich nicht ertragen.» Sie lachte trocken. «Außerdem würde mein Vater mir das nie verzeihen.»
Knox nickte. «Dann müssen wir den Teil wohl selbst absuchen.»
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Kapitel 22
I
B oris war für vier Uhr nachmittags mit dem Waffenhändler verabredet, aber er war schon um kurz nach drei am vereinbarten Ort. Geheime Waffengeschäfte dieser Art waren immer riskant, zum Teil weil diese Waffenschieber alle Dreckskerle waren, aber auch weil ein so großer Teil der Ware
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