Die Drachenflotte (German Edition)
ich muss an dich denken. Du fehlst mir so sehr, weit mehr noch als vorher, weit mehr als ich jemals sagen kann. Gesund ist das nicht, das weiß ich. Die Menschen kommen und gehen wie die Gezeiten. Forscher, Zoologen, Gutmenschen, Touristen. Die Frauen sind manchmal ziemlich dreist. Sie bieten sich regelrecht an. Vielleicht tue ich ihnen leid, oder vielleicht sind sie einfach einsam. Vielleicht reisen sie deshalb. Sie interessieren mich alle nicht. Es ist ungefähr so, als besuchte man eine Bibliothek in einem Land, dessen Schrift man nicht lesen kann. Die Bücher erinnern dich an die Freude des Lesens, aber für sich genommen sind sie nichts.
Unsere geliebte Rebecca feiert weiterhin Triumphe. Sie ist eine schöne Frau geworden. Sie hat dein üppiges dunkles Haar. Auf ihren strapaziösen Reisen trägt sie es meistens hochgesteckt, aber manchmal lässt sie es offen, und dann schiebt sie ihre Finger durch es hindurch, um es zu lockern, wie du das immer getan hast, und es erinnert mich an den Moment, als ich dich das erste Mal sah und augenblicklich wusste, was ich vom Leben wollte. Jeder Mensch sollte so einen Moment erfahren; sonst ist unser Aufenthalt hier sinnlos. Manchmal schickt sie mir Aufnahmen ihrer Sendungen. Ich bekomme Angst, wenn ich ihr zusehe. Sie geht mit Krokodilen, Schlangen und Tigern um, als wären es Haustiere, und kehrt ihnen dann den Rücken, um in die Kamera zu sprechen. Sie ist sehr furchtlos. Nein, das stimmt nicht ganz. Die Furcht verleiht ihr eine Glut, wie die Kerze im Inneren des Kürbisses. Sie bewegt sich unter diesen wilden Tieren und glüht vor Intensität. Sie schreibt ihre Texte selbst, wie ich höre. Sie machen mich stolz auf sie: klar, gescheit, witzig und mit perfektem Timing vorgetragen. Nur eins bereitet mir Sorge – wie pessimistisch ihre Sicht der Menschen geworden ist. Der Behaviorismus ist ein gefährliches Konzept. Er schiebt eine Glaswand zwischen dich und die Welt. Du beobachtest, du diagnostizierst, du packst andere in deine kleinen Schubladen und bildest dir ein, ihnen überlegen zu sein. So zu leben, ist ein Elend. Ich kann das beurteilen, denn ich war selbst so, bevor ich dir begegnet bin. Manchmal, wenn ich in Toliara bin, suche ich im Internet nach Geschichten über sie. Sie scheint alle paar Wochen mit einem neuen Mann unterwegs zu sein. Aber keiner von ihnen hält sich länger. Ich habe Angst, dass meine furchtbare Wut bei ihr so tiefe Spuren hinterlassen hat, dass sie niemals wieder bereit sein wird, sich ganz zu öffnen. Der Gedanke belastet mich mehr, als ich dir sagen kann, aber ich gebe trotzdem die Hoffnung nicht auf, dass sie eines Tages ihr Herz verlieren wird, bevor sie merkt, dass es in Gefahr ist.
Sie war so lieb, Kopien einiger meiner alten Sendungen aufzustöbern und sie mir zu schicken. Das heißt, sie hat sie nicht selbst geschickt, sondern von einem ihrer Mitarbeiter schicken lassen. Mit einem Kärtchen, das er für sie unterschrieben hatte. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken, als ich sie mir angesehen habe. Ich hatte vergessen, wie hölzern ich war, wie gönnerhaft. Damals glaubte ich, Wissen wäre genug, große Ideen wären von selbst ansteckend.
Rebecca hob den Kopf und starrte an die Wand. Adam hatte recht. Seine Sendungen waren unlebendig gewesen, hochtrabend, gestelzt und entsetzlich antiquiert. Und dennoch hatte sie beim Zusehen etwas gespürt, was ihrer eigenen Arbeit fehlte und sie neidisch gemacht hatte. Etwas wie Integrität, vielleicht sogar Liebe. Ihn zu sehen und zu hören, hatte sie daran erinnert, dass das Studium von Tieren in ihrer eigenen Lebenswelt eine anspruchsvolle Aufgabe war, bei der neues Wissen erst durch Jahre geduldiger Feldarbeit gewonnen wurde, die selten schlagzeilenträchtige Ergebnisse erzielte. Ihr Vater hatte diese Jahre mühsamer, harter Arbeit abgeleistet. Die BBC hatte seine Radiosendungen und dann seine Fernsehserie nicht wegen seines umwerfenden Aussehens oder seiner Kamerapräsenz in Auftrag gegeben, sondern weil er einer der führenden Biologen Großbritanniens war. Zum Glück für ihre eigene Karriere hatte man beim Fernsehen inzwischen gemerkt, dass Substanz nicht nötig war. Doch Rebecca selbst war durchaus fähig gewesen, den Unterschied zu erkennen.
Natürlich wagen Emilia und ich es nicht, sie darauf anzusprechen. Sie ist so nahe daran, selbst das schmale Band der Kommunikation abzuschneiden, das zwischen uns noch besteht, dass wir ihr auf keinen Fall einen Anlass dazu liefern wollen. Eines
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