Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
fest.
» Wohl bekomm’s!«
Sie wollte zurück in die Küche, hörte jedoch Mora dort rumoren. Vorsichtig spähte sie durch den Türspalt und sah ihre Herrin am Tisch stehen, vor sich die ehemals trockenen Kräuter, die jetzt grün waren und blühten – winzige Blumen in Weiß und blassem Rosa, deren unbeschreiblicher Duft den ganzen Raum erfüllte. Wurzeln wanderten über die Arbeitsplatte und suchten nach Halt. Ein kleiner grüner Wald wucherte auf dem Küchentisch.
Erschrocken fuhr Linn zurück und eilte durch eine andere Tür zurück ins Haus. Ihr Herz klopfte heftig. Sie hatte gewusst, dass Mora eine Zauberin war, doch diese Demonstration von Macht erschreckte das Mädchen ungemein – gerade im Hinblick darauf, dass sie im Begriff war, etwas zu tun, was Mora ihr verboten hatte.
Es war unklug, sich mit Nival zu treffen. Es war geradezu dumm. Und einfach unvermeidlich.
Ohne Becher eilte sie die Treppe wieder hoch und über das blaue Tor ins andere Haus. Mit einem bangen Gefühl betrat sie Nivals Zimmer und fühlte sich sofort wie ein Eindringling. Unruhig spähte sie aus dem Fenster auf die im Schatten liegende Gasse.
Er kommt nicht. Er fürchtet sich viel zu sehr. Vor mir. Oder vor seiner Tante. Oh ihr Götter, warum habe ich das bloß vorgeschlagen …
Da sah sie ihn heraneilen, in seinem langen Mantel, und ihr Herz klopfte schneller. Sie fuhr vom Fenster zurück, setzte sich aufs Bett, sprang schnell wieder auf und stand schließlich, als er hereinkam, mitten im Raum, verlegen die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
Nival schloss die Tür ab, bevor er eine große, bauchige Flasche aus seiner Manteltasche zog.
» Jetzt müssen wir sie nur noch aufkriegen …«
» Ich war in der Küche, aber Eure Tante ist schon wieder zu Hause. Sie zaubert. Wusstet Ihr, dass sie trockene Kräuter zum Blühen bringen kann?«
» Sie kann noch viel mehr«, sagte Nival ungerührt. » Wenn der König davon wüsste, würde er sie vierteilen lassen. Selbst der kleinste Zauberer ist so gefährlich, dass er in dieser Stadt nicht geduldet werden kann.«
» Was wird sie tun, wenn sie uns wieder zusammen erwischt?«
» Sie könnte uns natürlich töten.« Er lachte leise. » Ich lasse es gern darauf ankommen. Habt Ihr den Becher?«
» Ich dachte, das hier tut es auch.« Verunsichert betrachtete sie das glasierte Gefäß und wischte mit dem Saum ihrer Tunika die Innenseite aus, um den Staub zu entfernen.
» Bei Barradas, etwas Kleineres konntet Ihr wohl nicht finden?«
Sie hielt ihm den bunten Krug entgegen. » Das habe ich Euch geschenkt, wisst Ihr noch?«
» Natürlich. Aber Ihr habt anscheinend vergessen, dass wir einen ganzen Becher leeren müssen.« Nival stellte die Flasche auf dem Tischchen ab und machte sich am Korken zu schaffen.
» Ist das schlimm?«
Angewidert verzog er das Gesicht, als er am Flaschenhals schnupperte und dann den Wein mit Schwung in den Krug eingoss. » Ich glaube ja«, murmelte er. » Ziemlich schlimm.«
» So schlimm kann es gar nicht sein.« Linn nippte vorsichtig und schnappte nach Luft. » Oh. Doch.«
» Seht Ihr«, meinte er betrübt.
» So, wie geht die Verbrüderung jetzt vor sich? Erst den Becher leeren oder erst der Kuss, oder wie? Jetzt sagt nicht, dass Ihr das nicht wisst. Ihr habt diesen Typen auf dem Kampfplatz geduzt.«
» Das habt Ihr gehört?« Nival seufzte. » Allerdings habe ich nur eine undeutliche Erinnerung daran, wie diese Vertraulichkeit zustande gekommen ist. Ich glaube, zuerst trinkt man auf immerwährende Freundschaft. Ihr dürft anfangen.«
Linn nahm einen kräftigen Schluck und begann zu husten. Hitze stieg ihr ins Gesicht, sie beugte sich nach vorne und ächzte. » Gütiger Arajas. Hier, jetzt Ihr.«
Auch Nival stiegen die Tränen in die Augen. » Grundgütiger. Das ist ein sehr großer Becher.«
Er reichte ihn Linn zurück, und sie überwand sich dazu, einen weiteren Schluck zu nehmen, obwohl ihr der erste noch in der Kehle brannte. Eine angenehme Wärme breitete sich in ihr aus, aber nicht einmal der Bitterwein konnte diesen anderen Durst in ihr löschen. Da war etwas in ihrem Mund, ihrem Bauch, tief in ihren Eingeweiden, ein Feuer, das nur noch stärker aufflammte. Es wurde immer schwerer, so zu tun, als ob nichts wäre.
Der Becher ging einige Male zwischen ihnen hin und her. » So schlecht schmeckt das Zeug gar nicht«, befand Nival. » Wie wäre es jetzt mit dem Kuss, bevor wir uns unter den Tisch trinken?«
» Ja«, stimmte Linn zu. » Auf
Weitere Kostenlose Bücher