Die Drachenjägerin 2 - Winter, M: Drachenjägerin 2
ordentliche Tensi-Mahlzeit hatte Nival nichts einzuwenden. Er folgte ihnen ins Zelt, wo sich gerade hinter einem Paravent ein paar Tänzerinnen umzogen und nun mit raschelnden Röcken und klimpernden Ketten an Hand- und Fußgelenken hervorkamen. In ihre wallenden Locken waren Trophäen aus aller Herren Länder eingebunden – Schlangenhäute und Löwenzähne, Federn von Vögeln, von denen die Leute in Schenn noch nicht einmal gehört hatten. Das Ohr der Vortänzerin war von unzähligen Stacheln durchbohrt. Sie schenkte Nival einen abschätzenden Blick aus ihren feurigen meergrünen Augen.
» Was macht ein Bestran hier?«
Nival bewegte die Hände so rasch, dass nur ein geübtes Auge die Zeichenfolge erkennen konnte – zwei unflätige Wörter, von denen bereits eins gereicht hätte, um ihm die Brüder des Mädchens auf den Hals zu hetzen.
Doch statt beleidigt zu sein grinste sie breit. » Jikesch? In dieser Stadt gibt es nur einen einzigen Tensi. Bei Barradas, ich habe dich gar nicht erkannt.«
» Nenn mich nicht Jikesch«, sagte er rasch. » Der Name ist im Moment nicht sicher. Vetter genügt vollkommen.«
» Oh, mein lieber Vetter!« Sie schenkte ihm eine klirrende Umarmung und trat dann wieder einen Schritt zurück, um ihn zu betrachten. » Wie groß du geworden bist! Ist er doch, oder? Was sagst du dazu, Onkel Cassemin? Ein Gesicht, so hell und weich wie ein Lämmchen.«
Nival schluckte. Bei den Tensi war man ohne die in die Haut geritzten Reiseandenken niemand. Nur die Bestrans, die Sesshaften, die nichts von der Welt wussten, blieben so, wie sie geboren waren, ohne je dazuzulernen. Für sie gab es keine Veränderung, die sich auf der Haut zeigte, die Geschichte eines erfüllten Lebens. Er hätte sich wohler gefühlt, wenn er seinen Verwandten gar nicht erst hätte vorführen müssen, was aus ihm geworden war, doch die Gefahr im Schloss ließ ihm keine Wahl.
» Warum seid ihr hergekommen?«, fragte er. » Warum jetzt?«
» Weil uns unser Weg hergeführt hat«, antwortete Cassemin, » weil die Hinweise auf Lanhannat gedeutet haben. Alle Zeichen am Wegesrand wiesen hierhin. Wir folgen dem Wind, mein Sohn, und wohin er uns treibt, dort gehen wir hin. So wie du, ein Blatt, das der Sturm in eine Ecke geweht hat, Barradas mit dir.«
» Jikesch! Jikesch ist da!« Immer mehr Spielleute drängten ins Zelt. Unter ihnen auch Meister Tymon, der ihn gelehrt hatte, wie man sich mit ein wenig Farbe im Gesicht und ein paar Requisiten so verwandeln konnte, dass niemand einen erkannte. Alasan drückte ihn an ihren üppigen Busen und kniff ihn in die Wange, wobei sie ihm das Versprechen abnahm, sich im Messerwerfen mit ihr zu messen; immerhin war er ihr bester Schüler gewesen. Olkis lästerte ausgiebig über seine jungfräuliche Haut, dabei war er es doch gewesen, der Jikesch gezeigt hatte, dass Erfahrung sich ebenso gut auf Pergament verewigen ließ wie auf Haut. Olkis war unschlagbar, was die Herstellung von Schreibfedern und verschiedenfarbigen Tinten anging, auch wenn er sie normalerweise dazu benutzte, die Körper seiner Mitreisenden zu verschönern.
» Nicht Jikesch. Bitte nennt mich nicht Jikesch.«
Nival konnte es noch so oft wiederholen, sie verstanden nicht, dass dieser Name zurzeit sein schlimmster Feind war. Er durfte sich nicht wie Jikesch fühlen, nicht reden wie er, nicht der Versuchung erliegen, sein Kostüm anzulegen und sie vergessen zu lassen, dass er beinahe ein Bestran war. Doch seltsamerweise war gerade hier, bei seinen Verwandten und Freunden, der Unterschied seiner beiden Leben besonders klar umrissen. Die Spielleute trennten sehr scharf zwischen ihrem privaten Leben und ihren Auftritten, bei denen sie vor Publikum zu anderen, fremdartigen Wesen wurden, deren Kunststücke alles Menschenmögliche übertrafen. Wenn sie dagegen nicht auf der Bühne standen, waren sie einfach nur sie selbst.
Cassemin setzte sich neben ihn, während Nival einen Topf mit Brissle in die Hand gedrückt bekam – einem Gericht, das er seit Jahren vermisst hatte. Keine gefüllten Wachteln aus dem Palast kamen an das hier heran – schlicht aus Wurzeln und Zwiebeln gekocht, mit einer halben Tasse Ziegenmilch verfeinert. Das Geheimnis waren die Wurzeln der Wildberilie, welche die übrigen Völker für ungenießbar hielten. Man musste genau wissen, wie man sie zubereitete, um das unvergleichliche Aroma zu erhalten und die Bitterstoffe auszuschwemmen.
» Wir sind hier, um dich mitzunehmen«, sagte sein Vater.
» Das habe
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