Die Drachenjägerin 2 - Winter, M: Drachenjägerin 2
feucht war von der Behandlung, der Agga ihn unterzogen hatte, und nach irgendwelchen Kräutern roch, zog ihn sich tief in die Stirn und ging.
Die Gaukler hatten den gesamten Marktplatz in Beschlag genommen. Die Wagen hatten sie draußen vor den Stadtmauern aufgebaut, denn Spielleute hatten nicht das Recht, in der Stadt zu übernachten. Nival drängte sich durch die Menge, und mehr als einmal bekam er einen Ellbogen in die Seite, doch die zarten Finger an seiner Hüfte spürte er sofort. Er griff nach hinten und hielt ein überaus erstauntes Bürschchen in den Armen. » Wolltest du an mein Bündel?«, fragte er freundlich.
» Nein, nein!«, beteuerte der Knabe. Er war kaum älter als fünf, sechs Jahre. Hinter ihm stand ein Mädchen mit einer über und über mit Frühlingsblumen bedeckten Mütze, Panik spiegelte sich in ihren Augen.
» Ist Cassemin hier?«
Der Junge begann heftig zu zappeln, aber Nivals Griff entkam er nicht.
» Also ja. Das trifft sich gut. Bring mich zu ihm, du weißt doch sicher, wo er steckt.«
» Ich kenne keinen Cassemin«, behauptete der Junge trotzig.
» Bring mich trotzdem zu ihm. Ich bin nicht von der Wache.« Als er mit der Hand ein kaum sichtbares Zeichen machte, riss das Kind die Augen auf, jetzt erst recht überrascht.
» Ja, Herr.« Selbst die Jüngsten wussten, dass dieses Zeichen sie zu Gehorsam verpflichtete. Das Mädchen eilte voraus, und gemäßigten Schrittes folgte ihr Nival, die Hand immer noch auf der Schulter seines kleinen Gefangenen.
Sie gingen an den Bühnen vorüber, die die Gaukler aufgebaut hatten – Kisten in verschiedenen Größen, auf denen sie tanzten, jonglierten, sangen und andere Kunststücke aufführten. Davon ließ er sich keinen Moment ablenken, sondern hielt das Kind fest, bis es ihn zu einem kleinen Zelt im hinteren Bereich des Marktplatzes geführt hatte. Das Mädchen verschwand durch die Öffnung, und sofort wurde Nival von mehreren Männern umringt. Sie musterten ihn – kräftige Kerle, von Wind und Wetter gegerbt. Die kunstvollen Malereien auf der Haut zeigten ihre Reiseroute an; je mehr von diesen Bildern ein Tensi besaß, umso weiter war er in der Welt herumgekommen. Einer der Männer war besonders bunt und auffällig. Wellen auf seiner Schulter deuteten das Stille Meer an, Korallen die Insel Ghenai, und die grünen Schlangen bewiesen, dass er in Jagor gewesen war. Zahlreiche sich windende Drachen, die sich über sein linkes Schlüsselbein krümmten und in seinem Hemd verschwanden, waren sein ganzer Stolz. Der Schnauzbart hing ihm in zwei Zöpfen zu beiden Seiten der Mundwinkel herab, und auf dem nahezu kahlen Schädel prangte ein einzelner blonder Zopf, von blauschwarzen Dornen und Zeichen umrahmt. Mit wachsamen grauen Augen betrachtete er Nival, dann verzog er den Mund zu einem breiten Grinsen.
» Ich hätte dich fast nicht wiedererkannt, Bürschchen«, rief er und schlug Nival auf die Schulter. » Ha!«, brüllte er. » Seht ihn Euch an! Was für ein schmucker junger Tensi mein Sohn ist!«
16
Cassemin umschlang den jungen Mann, und dort, in den kräftigen Armen seines Vaters, suchte Nival nach einem Gefühl, das er verloren hatte, und fand doch nur eine vage Erinnerung daran. Er hatte auf viele Jahre mit seiner Familie verzichtet. Auf die Bilder auf seiner Haut, die ihn zu einem Mann gemacht hätten, der bei den Tensi etwas galt. Auf den Wind im Gesicht und Barradas’ Segen über ihm.
» Geh, wenn der Wind ruft«, murmelte er, » flieg im Sturm, sieh dich nicht um. Hinter dir, hinter dir, Mädchen weinen, Soldaten rennen, sieh dich nicht um.«
Die alten Tensi-Lieder kamen ihm wieder in den Sinn, während er draußen die Musik hörte, das Klappern der Taktstöcke, das Pfeifen der Flöten, das Vibrieren der unzähligen Saiten von Wimbas und Listrans, den Lieblingsinstrumenten der Gaukler.
» Das ist mein Junge!«, dröhnte Cassemin.
Die anderen Männer hatten die Musterung offenbar abgeschlossen und waren nicht geneigt, Cassemins Begeisterung für Nival zu teilen. » Weiße Haut wie ein Säugling«, maulte einer. » Wo lebst du, in einem Haus am warmen Ofen?«
» Siehst aus wie ein Bestran. Pfui, da hält sich Barradas die Augen zu.«
Nival lächelte. Die raue Art der Spielleute war ihm vertraut, und er nahm ihnen die Worte nicht übel – hatten sie nicht recht? Er sah tatsächlich aus wie ein Städter, ein Bestran. Sein Vater umfasste seinen Arm und befühlte die Muskeln. » Kriegst du auch genug zu essen?«
Gegen eine
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