Die Drachenjägerin 2 - Winter, M: Drachenjägerin 2
zerfaserte und den Schmerz mehrte.
» Wag es ja nicht, ohnmächtig zu werden«, sagte Mora. » Du musst wach bleiben, hörst du? Sieh mich an. Nival, ich befehle es dir! Sieh mich an!«
Ihr Gesicht hing hell und rätselhaft vor seinem, ihre großen Augen gruben sich wie mit Widerhaken versehen in seine.
» Es ist dein Herz, Nival. Hörst du mich? Es sind deine Wünsche. Finde etwas anderes, auf das ich den Bann lenken kann. Gib mir etwas Besseres als Hass. Was ist noch da?«
» Hör auf!«, schrie er, während der Zackendolch immer weiter in sein Inneres vordrang, während die Lücke größer und größer wurde. Kälte wehte ihn an, als würde in ihm, während die Nacht tiefer wurde, Schneefall einsetzen. Er fror, seine Zähne klapperten, und an den Rändern seiner zerfetzten Seele bildeten sich Eiskristalle.
Rinek lehnte die Stirn gegen Nivals Hinterkopf, der warme Atem des Mannes blies in sein Haar. Wenn Nival sich jetzt nach hinten warf, konnte er ihm die Nase brechen und entkommen …
» Nival!« Die Scheibe an seiner eigenen Stirn brannte wie die Sonne. » Du musst mir helfen! Du musst etwas finden! Wenn ich den Bann nicht umlenken kann, wirst du hier und jetzt sterben!«
Er hörte Moras Stimme wie von weit her. Dort unten war die Grube, in der es kochte. Zaubertinte. Zauberpech. Eine schwarze, brodelnde Masse. Dort war das Labyrinth, dort im Finstern. Er tastete sich voran, ein Kind, das aufgehört hatte zu weinen, das dem Luftzug durch die endlose Dunkelheit folgte, einem schwachen Wind, der in den Spalten und Nischen sang und heulte. Winzige Füßchen trippelten vor ihm her. Die Mäuse flüsterten. Irgendwo musste der Ausgang sein, das Licht … aber mit jedem Schritt ließ er diejenige im Stich, die er liebte. Seine Mutter hatte das Haar nach vorn gekämmt, um die Wunde an ihrer Wange zu verbergen, aber er hatte es gesehen. Sie versuchte zu lächeln und dabei nicht zu zeigen, wie viele Zähne ihr fehlten. Über allem lag der Geruch von altem Blut.
Geh. Folge dem Zauber. Es muss noch etwas anderes geben als die Nacht …
Ich werde zurückkommen. Ich komme zurück und hole dich hier raus. Versprochen.
Geh. Geh, mein Junge.
In der schwarzen Masse brodelte sein Zorn. Dafür wird jemand bezahlen. Ich komme zurück. Ich werde zurückkehren, und dann wird der König bezahlen … Ich soll ihn retten? Ich habe nicht die Absicht.
» Da muss noch etwas anderes sein«, drängte Mora. » Such danach. Jetzt, bitte!«
Er spürte Rineks Arme um sich, sein angestrengtes Keuchen. Wie lange würde seine Kraft noch reichen? Yaro umklammerte Nivals Beine, auch das drang bis in die Tiefen seines Bewusstseins. Oh ja, Yaro, als könnte er jemals vergessen, wer dieser Mann war. Mit Vergnügen würde er ihn umbringen. Er musste nur warten, bis die Wachsamkeit seines Rivalen nachließ, und dann, mit einem plötzlichen, heftigen Tritt …
Aber sie liebt ihn. Linnia liebt ihn. Er ist ihr Yaro, dieser hübsche junge Mann mit den dunklen Locken, mit den feurigen Augen. Gib’s zu, er ist der Bessere von uns beiden.
Gib es zu. Auch das war ein Schmerz, kaum zu ertragen. Du wirst nie an Yaro heranreichen. Weder an seine Schönheit noch an seine Treue. Der Einzige, der es verdient, von ihr geliebt zu werden. Vergiss Arian. Allein Yaro ist wichtig, denn er ist der Mann, zu dem sie zurückkehren wird, wenn alles vorbei ist.
Es tat so weh, dass er nach Luft schnappte. Die Säge ratschte durch mehrere Fäden auf einmal. Der Teich der dunklen Wünsche lag still da.
Pivellius soll sterben.
Mein Vater soll sterben, denn er hat mich verkauft.
Alasan musste sterben, denn sie hat ihn dazu gebracht, meine Mutter zu vergessen.
Mora soll sterben, denn sie hat mich benutzt.
Yaro soll sterben, denn er besitzt, was ich begehre …
Dort unten, in seinem Innersten, in das er nur selten Einblick hatte, noch tiefer als der alles verzehrende Zorn, sah er sie vor sich. Linnia. Das Mädchen in Reisekleidung, müde von einem langen Weg, und doch leuchteten ihre Augen vor Begeisterung. Ich frage mich, wer wohl die weißen Umhänge wäscht? Linnia, die sich im Stroh an ihn schmiegte. Ich bin verliebt. Wenn du wirklich mein Freund bist, wirst du dich für mich freuen. Linnia, die betrunken in seinen Armen einschlief. Über ihnen die Sterne. Wie alt bist du Jikesch? Uralt. Ja, er spürte die zusätzlichen Jahre. Jede Nacht im Labyrinth ein Jahr. Jedes Flüstern, jedes vorsichtige Tasten im Gestein … Jahre und Jahrzehnte. Ein ganzer Berg lag auf
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