Die Drachenjägerin 2 - Winter, M: Drachenjägerin 2
gehört?«
» Das wird doch nicht Linnia sein? Hast du ihr nicht gesagt, sie soll in der Schreibstube bleiben?«
Er griff nach der Lampe und eilte die steile Treppe hinunter, ein banges Gefühl in der Brust. Mittlerweile traute er der Drachenjägerin alle Dummheiten zu, und er wusste, wie es war, sich gefangen zu fühlen.
Doch in der dunklen Gasse war niemand. Er hielt nach allen Seiten Ausschau und dachte an die Halunken, die ihn überfallen hatten. » Ist da jemand?«, fragte er halblaut.
Das Mädchen kam von vorne, aus den Trümmern von Moras Haus herausgeschritten. Der weiße Pelz schimmerte, noch bevor sie in den Lichtkegel trat, und die feinen Tröpfchen des abendlichen Sommerregens glänzten wie Perlen auf ihrem Haar.
» Ich bin Chamija«, sagte sie mit sanfter Stimme, und erstaunlicherweise lag nicht die Spur eines tijoanischen Akzents darin. » Ihr seid doch Herr Nival, der Schreiber?«
» Ja«, antwortete er und versuchte in ihrer Miene zu erkennen, ob sie wusste, dass er noch mehr war als das.
» Ich habe gehört, Linnia sei hier – Ihr wisst schon, Linnia Harlon, die Drachenjägerin. Ist das wahr?«
Er stand immer noch an der Tür, die Lampe in der Hand, und konnte sich nicht rühren.
» Nein«, sagte er schließlich. » Da seid Ihr falsch unterrichtet.«
» Oh«, meinte Chamija und lachte, » keine Sorge. Ich bin Linnias Freundin, ihr kleines Geheimnis ist bei mir sicher. Dafür habe ich volles Verständnis. Darf ich hereinkommen, oder wollt Ihr mich im Regen stehen lassen?«
Um nichts in der Welt mochte er sie ins Haus lassen, aber als sie sich an ihm vorbeischob, brachte er es nicht fertig, sie festzuhalten und daran zu hindern.
Sein Mut sank, sein Herz klopfte schneller, und als er die Tür schloss, kam es ihm vor, als würde er seine eigene Gefängniszelle absperren.
Chamija hielt sich nicht damit auf, die unbeleuchtete Wohnstube zu durchsuchen, sondern huschte leichtfüßig die Treppe hinauf. Hastig ging er ihr nach, auf einmal von Angst um Mora ergriffen.
Als er oben ankam, hatte sich das blonde Mädchen bereits auf der Bettkante niedergelassen und die Hände der alten Frau ergriffen.
» Ich habe damit gerechnet, eine Kranke vorzufinden, aber nicht diese. Ihr müsst Frau Mora sein, Linnias frühere Vermieterin. Ihre Dienstherrin, um genau zu sein, nicht wahr?«
» Linnia ist nicht hier«, meinte Mora. » Hat Nival Euch das nicht gesagt?«
Er bewunderte seine Tante für ihre Ruhe. Sie schien nicht im Mindesten eingeschüchtert, als sei dieser unerwartete Gast tatsächlich nichts weiter als Linnias Freundin.
» Oh doch, das hat er erwähnt«, bekannte Chamija ungerührt. » Ich wollte trotzdem gerne die Menschen kennenlernen, die ihr so viel bedeuten. Eine Drachenjägerin braucht eine Familie, die ihr Rückhalt gibt. Wenn man so eng mit dem Tod lebt, ist das extrem wichtig, findet Ihr nicht auch? Man muss immer wissen, wofür man kämpft.«
» Ja«, sagte Mora. » So ist es. Habt Ihr Familie?«
Die Tijoanerin nickte. » Ja, aber mit meiner ist es etwas … kompliziert. Meine Eltern sind schon lange tot, und ich bin ganz auf mich gestellt. Ich beneide Leute, die ganz normal leben können. Ein Liebster, Kinder, irgendwann Enkel … eine Tradition, die sich bewährt, die zu einem passt. Nur das Altwerden ist … schmerzhaft. Ich bin sicher, davon könnt Ihr ein Lied singen.«
» In der Tat«, bestätigte Mora. Ihr Blick irrte zu Nival, schien zu fragen: Was will sie? Was soll das?
» Dann will ich Euch nicht länger stören.« Chamija sprang auf, sodass sie plötzlich direkt vor Nival stand, und ergriff seine Hände. » Wie froh ich bin, dass ich hier war! Ihr seid so freundlich und gut, das spüre ich sofort.« Ihre Finger waren wie kleine Krallen, selbst wenn er gewollt hätte, er hätte sich ihr nicht entziehen können. » Nun muss ich zurück zum Schloss. Bestimmt könnt Ihr mich ein Stück begleiten? Dieses Viertel ist so dunkel und unheimlich.«
Es gab keinen Ausweg. » Ja«, sagte Nival gepresst, » natürlich.«
Sie hakte sich bei ihm unter, so wie Linnia es getan hatte bei ihren gemeinsamen nächtlichen Spaziergängen. Es regnete noch immer, doch Chamija schien es nichts auszumachen. Sie hielt ihr herzförmiges Gesicht in den Regen und lächelte versonnen, und er fragte sich, ob er sie wohl schön gefunden hätte, ob ihr kindlicher Charme ihn beeindruckt hätte, wenn er nicht gewusst hätte, wer sie war.
» Ich arbeite jetzt hin und wieder bei einem Eurer Kollegen
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