Die Drachenjägerin 3 - Winter, M: Drachenjägerin 3
erholen kann, sollte das in Steinhag geschehen. Ich war lange nicht mehr dort. Viel zu lange. Ich brauchte einen Menschen, denn die Eingänge sind viel zu eng für einen wie mich. Du wirst mir helfen; das wenigstens solltest du für mich tun können. Wir werden beide etwas davon haben: Es wird sehr lange dauern, bis du dich erholt hast, und dort bist du in Sicherheit. Wir werden erst am Rand des großen Gebirges entlanggehen und dann in die Schneeberge. Es ist ein weiter Weg für jemanden wie dich, und du musst dich beeilen, denn in den Bergen kommt der Winter sehr früh. Also weck Nival. Wir lassen ihn hier zurück, er kann von nun an selbst für sich sorgen.«
» Nein, es ist zu früh.« Mit Händen und Füßen wehrte sie sich gegen das Unvermeidliche. » Er ist zu schwach. Seine Haut ist zu frisch, zu jung.«
» An seiner Haut gibt es nichts auszusetzen. Weck ihn. Wenn du es nicht tust, dann tu ich es.«
» Nein!« Linn dämpfte hastig die Stimme. Wenn sie den Schlafzauber nicht erneuerte, konnte Nival jederzeit aufwachen, auch ohne ihr Zutun. » Er hat nichts anzuziehen. Solange er schläft, stört ihn das wenigstens nicht.«
» Willkommen zurück!«, dröhnte der Drache. » Im Reich der Lebenden!«
Nival ächzte im Schlaf.
» Nein!«, flehte Linn. » Hör auf!«
» Du glaubst immer noch, du könntest mir Befehle erteilen? Wir haben schon genug Zeit verloren. Er muss aufwachen, und wir müssen weiter.« Gah Ran sprach so laut, dass der Kranke zusammenzuckte.
» Sei still!«, zischte Linn. » Bitte!«
Doch da setzte der junge Mann sich bereits auf. Sein Leib schimmerte hell durch die Dunkelheit. Sie konnte ihn nicht deutlich sehen, nicht gut genug, um zu erkennen, ob sein Gesicht das heftige Mienenspiel von Jikesch zeigte oder die Zurückhaltung des königlichen Schreibers Nival.
» Nival.« Sie wollte nach seinen Händen greifen und wagte es doch nicht, bang, als wäre etwas Heiliges unter ihnen aufgetaucht, über das sie und der Drache bislang nur gesprochen hatten. » Nival, ich bin’s, Linnia. Du bist in Sicherheit. Du bist nicht mehr in Lanhannat, sondern wir sind weit draußen im Gerin-Yan-Gebirge. Du warst schwer verletzt, aber …«
Er stieß ein Geräusch aus, wollte etwas sagen, und die Unmöglichkeit verwandelte sich in ein seltsam heiseres Heulen. Nival wich zurück, wehrte ihre ausgestreckten Hände ab, stolperte rücklings. Seine Beine wollten ihn noch nicht tragen, aber er rappelte sich auf und stürzte davon. Wieder kam dieser seltsame Laut über seine Lippen, wie ein angeschossenes Tier, dem noch der Pfeil in der Wunde steckte.
» Warte!«, rief Linn. » Ich kann es dir erklären. Bitte! Bitte, die Heilung ist noch nicht abgeschlossen, Nival!«
Er wankte von ihr fort, in die Dunkelheit. Sie wollte ihm nacheilen, doch Gah Ran hielt sie zurück. » Lass ihn.«
» Aber …«
» Er braucht ein wenig Zeit«, knurrte der Drache. » Merkst du das nicht?«
» Ich muss ihm nach! Er kann sich verletzen, oder er verirrt sich, oder …«
Trotz ihrer Sorgen blieb sie bei Gah Ran, sie erlaubte ihren unruhigen Füßen nicht, Nival nachzulaufen. Sie hockte sich hin und umklammerte ihre Knie; stumm wie er ließ sie die Stunden durch ihre Hände gleiten wie eine Gebetskette.
Am Morgen war er nicht da. Die Decke war verwaist. Nival war geflohen, verwirrt und voller Angst und Schmerz wie ein Tier, das aus seinem Käfig ausgebrochen war, noch lange nicht zahm.
» Siehst du«, sagte sie zu Gah Ran, ihre Stimme bitter vor Zorn und Leere.
Aber als Linn zum Bach ging, fand sie Nival dort. Er kauerte am Ufer und schaute auch nicht auf, als sie sich neben ihn setzte. Seine Haut glühte rosa im Licht der Morgensonne. Er hatte den Kopf gesenkt, die blonden Haare fielen ihm über Augen und Wangen.
» Nival«, flüsterte sie.
Da endlich sah er zu ihr hin. Sein Gesicht kam ihr reglos vor wie eine Maske. Seine Augen waren unendlich grau, in ihnen spiegelte sich seine Qual; es war, als würde ein Gefangener durch die Gitterstäbe seines Gefängnisses spähen. Sie wollte ihm versichern, dass alles gut werden würde, dass diese schlimme Zeit bald vergessen war und nicht nur seine körperlichen Wunden heilen würden, doch in seinem Blick war etwas, das es ihr verbot, ihn zu trösten.
» Gah Ran wartet«, sagte sie stattdessen. » Wir müssen aufbrechen. Kommst du mit?«
Er machte eine Handbewegung, die sie zuerst nicht deuten konnte. Dann fiel ihr ein, dass er keinen einzigen Fetzen Stoff am Leibe trug.
»
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