Die Drachenjägerin 3 - Winter, M: Drachenjägerin 3
stehen gelassen hätte, nackt und verwundet. Aber Linn war es gewöhnt zu kämpfen und die Tränen hinunterzuschlucken, und ihr eigener Zorn regte sich.
» Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass du lebst«, stieß sie hervor und klatschte ihm eine Handvoll Drachenspeichel auf die Brust. » Darauf kannst du lange warten. Ich habe dich gekauft für das Erbe meines Vaters, und, verdammt noch mal, ich will meinen Freund dafür. Ich habe nicht für ein Stück Fleisch alles weggegeben, sondern für dich, Jikesch.«
Sie hätte ihm noch viel mehr sagen können, doch es war zu viel, sie erstickte fast daran. Wütend verlegte sie sich darauf, ihn einzureiben, seinen zitternden, ausgemergelten Körper. Da war nichts Begehrenswertes an ihm, trotzdem fand sie merkwürdigerweise Trost darin, ihn zu berühren.
» Wintika …«
Immer wieder dieses Wort, als würde sie ihn damit verfluchen, ihn retten, ihn heilen, ihn an sich ketten und ihn fortschicken, irgendwohin, wo seine Existenz ihr nicht mehr solche Schmerzen zufügen konnte. Als würde sie ihn an sich ziehen und von sich stoßen, alles mit einem Wort, das noch viel mehr zu zerreißen schien als zu heilen. Früher hatte Linn nicht gewusst, dass Heilen Gewalt ausüben bedeutete, den Sieg des Tages über die Nacht, den Sieg des Lebens über die Vergänglichkeit, eine Art Vergewaltigung des natürlichen Zerfalls. Ein Kampf, wild und zornig und brutal. Sie wollte ihn heilen, um ihn zu besiegen. Sobald er stark genug war, konnte sie ihn endlich fortschicken. Nein, das musste sie nicht; er würde von selbst gehen, und sie würde nichts tun können, um ihn aufzuhalten. Auch das wusste sie. Darum war jedes heilende Zauberwort zugleich ein Schritt auf dem Weg zum Abschied, der unweigerlich kommen musste. Es konnte keinen Jikesch geben ohne seine Stimme und keinen Nival ohne seine Träume, ohne seine Zuneigung zu Mora und den Wunsch, den König zu ändern, ohne sein Zögern und Stammeln. Diesen Mann hier kannte sie nicht, er war weder der eine noch der andere. Ein Fremder, den nicht sie, sondern Arian geschaffen hatte. Sie wusste überhaupt nichts von ihm, und sie konnte ihn nicht zurückhalten, wenn er gehen wollte.
Ihre Fingerspitzen berührten sein Gesicht, fuhren über den Nasenrücken, die Brauen, die flatternden Lider. Seine Wangenknochen, der weiche Bart – noch ein Beweis dafür, dass sie diesen Mann nicht kannte –, die Ohren. Der Hals. Ihre Hände verhielten auf jener Stelle, die ihn einmal verraten hatte, doch jetzt war sie genauso glatt wie überall. Keine Narbe mehr. Nein, andersherum, jetzt war alles Narbe.
Er zitterte so stark, dass er gegen sie taumelte.
» Leg dich hin«, befahl sie und kniete sich am Boden neben ihn. Ihre Tränen tropften heiß auf ihre Hände und seine Haut. Irgendwann war sie zu müde, um noch ein einziges Mal dieses Wort auszusprechen, das sie mittlerweile schon hasste. Sie schloss die Augen und konnte nicht einmal fühlen, wie nah sie neben ihm lag, ob sie ihn berührte oder nicht. Obwohl sie sich zu elend zum Schlafen fühlte, kamen die Träume doch.
Jikesch stürzte vom Turm … Es war immer Jikesch, der fiel. Niemals der andere, dessen Namen sie nicht einmal träumen wollte.
» Wach auf. Leise.«
Gah Rans heiseres Flüstern weckte sie.
» Was ist?«, fragte Linn.
Alles schien unverändert. Das Feuer war heruntergebrannt, über ihnen strahlten die Sterne, als würden sie gleich vom Firmament herunterfallen.
» Da kommt jemand. Die Grenzpatrouille, nehme ich an. Ich werde fliegen, aber du musst jetzt im Dunkeln rüber.«
» Du meinst, wir sind schon an der Grenze zu Gerin? Sie fürchten doch wohl nicht, dass der Krieg auch zu ihnen kommt?«
» Jedenfalls müssen wir leise sein.« Der Drache wandte sich an den Kranken, der sich aufrichtete und näher trat.
» Wir werden am östlichen Rand des großen Gebirges entlangwandern. Das heißt, Linn wird das tun. Das ist der einfachste Weg für einen Menschen, aber die Bergvölker schlafen nicht, und man muss sich die ganze Zeit über vor ihnen in Acht nehmen. Wir werden an der Grenze zu Schenn, Yan und schließlich Tijoa bleiben, wobei ich zumeist fliegen werde und Linn sich verstecken muss, aber das ist immer noch vielversprechender, als sich durch den Schnee zu quälen. Danach erst wenden wir uns nach Westen, nach Berat. Durchs Hochgebirge muss sie auch noch, aber das kommt ganz am Schluss. Unser Ziel kann man nur unter vielen Schwierigkeiten und mit größter Anstrengung
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