Die Drachenjägerin 3 - Winter, M: Drachenjägerin 3
ausgegangen – wie konnte sie hoffen, dass es bei ihr anders sein würde? Manchmal fragte sie sich, ob sie sich nicht etwas zu viel vorgenommen hatte.
Es war nicht die Erschöpfung und auch nicht das wenig abwechslungsreiche Essen. Gah Ran jagte und brachte ihr stets etwas mit: Fleisch, das ihr eigentlich Kraft schenken sollte und es doch nicht vermochte. Lange Strecken zu wandern war ihr noch nie schwergefallen. Nein, es war, als würde etwas versickern, von dem sie bis vor kurzem nicht einmal gewusst hatte, dass sie es besaß. Die Fähigkeit, zaubern zu können, rann wie Schweiß aus ihren Poren, während sie heilte. Wintika, das Wort der Heilung, brannte wie Glut auf ihrer Zunge und verzehrte ihr Talent.
Tag für Tag wurde sie schwächer.
Linn tat, als merkte sie nichts davon. Manchmal ruhte der Blick des Drachen auf ihr, nachdenklich, und nahezu jeden Abend sagte er: » Es genügt, findest du nicht?«
» Nein«, entgegnete sie dann, » das tut es nicht.«
Wenn sie nach ihrer Verbannung einfach nach Hause gegangen wäre, wäre sie schon längst angekommen. Stattdessen hatte sie den Mörder des Königs gekauft, ihren besten Freund, nachdem seine Folterer ihn schon fast an den Rand des Grabes gebracht hatten. Chamijas Plan, Linn zum Heilen zu zwingen und sie dadurch zu schwächen, war aufgegangen. Linn wusste, dass sie in die Falle getappt war, die ihr die Zauberin gestellt hatte, sobald sie herausgefunden hatte, wem das Herz der Drachenjägerin gehörte. Jikesch, der Narr, ihr bester Freund. Und zugleich Nival, der junge Mann, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte. Beide steckten in diesem geschundenen Körper, den sie für den größten Preis erworben hatte, der vorstellbar war: die Schuppe des alten Drachenkönigs, die mehr Macht beinhaltete als irgendetwas anderes.
Linn bereute es nicht. Nival war ihr wichtiger als der Kampf gegen Chamija. Immer hatte die Drachenjägerin gegen etwas gekämpft, aus Hass, aus Rache, aus Zorn – jetzt kämpfte sie für etwas, und wie früher, als sie noch gegen Drachen ausgezogen war, kümmerte sie sich nicht um das Risiko.
Wenn jeder Atemzug eine Ewigkeit war, eingetaucht in glühendes Feuer, dauerte Nivals Heilung Jahrtausende. Doch nach den Maßstäben gewöhnlicher Ärzte geschah an ihm ein Wunder. Selbst Linn, die die Wirkung der magischen Heilsalben kannte, war überrascht, wie viel ein lebendiger Drache an ihrer Seite ausmachte. Gah Rans Macht wurde selbst in seinem Speichel offenbar, und Linns Anstrengungen blieben nicht unbelohnt. Schon nach einem Viertelmond hatte sich auf Nivals ganzem Körper eine neue, junge Haut gebildet. Sein Gesicht tauchte langsam wieder aus den Schatten auf, als würde er aus einem dunklen Teich emporschweben. Zarter blonder Flaum spross auf seinen Wangen. Er war immer noch schwach und viel zu mager; sie hatte ihm Wasser einflößen können, aber keine Nahrung. Doch sein Herz schlug bald kräftiger, er atmete tief, und hin und wieder bewegte er sich im Schlaf und seufzte leise. Manchmal erwachte er, aber nie für lange, und Linn war sich nicht sicher, ob sein Zustand ihm wirklich bewusst war oder ob er irgendeine Erinnerung an das besaß, was geschehen war. Eines Nachts schrak sie auf, als etwas sie berührte; er hatte sich umgedreht und war näher gerückt. Seine Wange ruhte auf seinem Arm, seine Stirn lehnte an ihrer Schulter. Er schlief mit leicht geöffnetem Mund, und auf einmal fühlte sie eine solche Angst, dass sie kaum atmen konnte.
» Es ist Zeit, ihn aufwachen zu lassen«, sagte der Drache leise. » Wir müssen weiter.«
Tijoa, schaltete sich sofort die Stimme ein, die ihr ständiger Begleiter war, seit der Prinz ihr die grüne Maske geschenkt hatte, die sie immer noch trug. Sie schien aus Schlangenhaut zu sein, doch tatsächlich handelte es sich, wie Gah Ran ihr offenbart hatte, um die magische Haut eines jungen Drachen. Nicht Lonar und nicht Khanat und nicht Samaja. Die Stimme zählte sämtliche Nachbarländer auf sowie ferne Königreiche, von denen Linn bisher nur seltsame Gerüchte gehört hatte, und wie immer schloss sie mit dem dringenden Appell, sich in Feindesland zu begeben. In Tijoa ist der Mittelpunkt von allem, das Auge des Sturms.
» Ich halte nichts von deiner Idee, nach Tijoa zu gehen und dich Scharech-Par als Zauberin anzubieten«, meinte Gah Ran, als könnte er ihre Gedanken lesen. » Man muss dich nur ansehen – von Tag zu Tag wirst du schwächer. Wenn du genug Magie übrigbehältst, die sich
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