Die Drachenjägerin 3 - Winter, M: Drachenjägerin 3
riskieren, sie zu verfehlen. Ich habe keine Ahnung, wo deine Schwester ist. Nein, wir gehen auf Nummer sicher und treffen sie in Steinhag«, sagte Gah Ran. » Deshalb bringe ich dich dorthin, wie ich es Scharech-Par versprochen habe.« Er lachte. » In meinem Herzen mag Verrat wohnen, doch ich bin brav wie der loyalste Diener, den ein Herrscher haben mag.«
» Brav«, wiederholte Rinek skeptisch.
» Nun ja«, gab der Rote zu, » vermutlich werde ich mir so oder so wieder den Fluch der Verbannung zuziehen. Ganz gleich, welcher König auf dem Thron sitzt und sich mit dem Blut der ValaNaik brüstet, ob er mein Freund ist oder mein Feind. Ich tauge nicht dazu, Befehle auszuführen. Doch lass uns die wenigen Tage, die uns bleiben, noch genießen, Rinek Lester. Lass uns tun, als wären wir frei und als könnten wir siegen.«
Wieder flogen die zerklüfteten Täler unter Linn vorbei, verschmolzen zu einem Bild aus Grau und Weiß, das ein verrückter Maler auf eine gefaltete und zerknüllte Leinwand gepinselt hatte. Weit in alle Richtungen breitete sich die Stadt der Felsleute aus. Dort war der Stufenpalast … und da der Platz, auf dem Binia gestorben war. Ausgerechnet hier setzte Ojia Ban zur Landung an. Denk nicht daran … Es schien unendlich lange her, und trotzdem war der Schmerz frisch wie gestern, eine Wunde, die sofort zu bluten begann, wenn man sie berührte.
» Wird es jemals besser?«, fragte sie.
» Nein«, antwortete Nival. » Dafür gibt es keinen Zauberspruch und kein Heilmittel. Du wirst das Geschehene in dir tragen bis ans Ende deines Lebens. Es liegt an dir«, fügte er hinzu, » ob du damit weitergehst oder stehenbleibst.«
Linn nickte. Die Wahrheit war ihr lieber als ein falscher Trost. Sie dachte an die Türen, von denen er einmal gesprochen hatte, hinter denen sein eigener Schmerz eingeschlossen war, und wünschte sich, sie hätte eine Tür in ihrer Seele, hinter der Binia wohnte. Nicht Binia, wie sie starb. Nicht Binia, wie sie litt, mit der verbrannten Haut, ohne Haare. Sondern das Mädchen, das sein blondes Haar schüttelte und die Arme hob und tanzen wollte.
Warte auf mich, sagte Linn in Gedanken. Warte hinter der Tür. Ich werde zuschauen, wie du tanzt. Aber nicht jetzt. Sie wagte es, den Blick zu heben und sich umzusehen. Nichts verriet mehr, was hier passiert war. Kein Blut im Schnee, keine Spuren davon, wie Scharech-Par seine Macht und seine Grausamkeit gezeigt hatte.
Tust du das für mich, Binia? Warte hinter der Tür. Ich darf nicht weinen. Ich muss stark sein.
Natürlich, antwortete Binia. Ihr Gesicht war zart und hell, und die Haare wogten um ihre geröteten Wangen. Mach dir keine Sorgen um mich.
» Sorge dich nicht. Sie ist hier.«
Linn erschrak. Wem gehörte diese Stimme? Fremd hallte sie in ihren Gedanken wider. » Sie ist da. Ich bin da.«
» Dairan?«, fragte sie leise, aber sie wusste, dass er es nicht sein konnte; diese Stimme klang ganz anders als das Flüstern der grünen Maske.
» Ich kenne dich. Weißt du denn nicht, wer ich bin? Halte mich ruhig für einen Drachen, für einen Drachen, der in deine Gedanken passt und in dein Herz. Welcher Drache ist wohl am gefährlichsten, der größte oder der kleinste oder der unsichtbarste?«
Das Lachen klang nicht unsympathisch, und trotzdem wurde ihr kalt; es war wie der Kuss eines Fremden. Einen Moment erwog sie, die Maske abzunehmen, doch es gab nirgendwo einen sicheren Ort für diese Kostbarkeit, kein Versteck, nur ihr Gesicht. Trotzdem wünschte sie, nicht alle Masken, die etwas mit den Drachen zu tun hatten, würden reden, und noch lieber als dieses herrlich verzierte Gold hätte sie Nivals Ledermaske angelegt, die nur an ihn erinnerte und an nichts sonst. Aber hatte nicht schon jene Maske den Ruf nach Lanhannat in sich getragen?
» Und du?«, fragte sie leise. » Wohin rufst du mich? Nach Tijoa? Zurück zum Meer? Wer bist du – Laran?« Sie hoffte inständig, dass die Maske, die neben seinem Leichnam gelegen hatte, nichts mit dem riesigen schwarzen Ungeheuer zu tun hatte. War es seine Stimme, leise und neckend? Sie hätte jedenfalls besser zu Jikesch gepasst als zu dieser mächtigen Bestie von ValaNaik.
Die zahlreichen Drachen, die über den Steinhäusern schwebten, wirkten unruhig und aufgeregt. Irgendwo schrie ein Kappengeier; Linn fragte sich, ob er womöglich empört war über die Anwesenheit der riesigen Ungeheuer.
» Da sind sie schon«, sagte der blaugrüne Drache.
Den breiten Weg von der Stadt hierher kam ein
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