Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
schon gewarnt.
Es herrschte Panik. Salazar hallte von angsterfülltem Stimmengewirr wider, in den Gassen und auf den Treppen liefen die Menschen zusammen. Überall sah man Verzweifelte, die zu fliehen versuchten. Innerhalb kürzester Zeit hatten sich die Flure mit brüllenden Menschen gefüllt, die zu den schon versperrten Fluchtwegen drängten. Nihal hatte die Straßen ihrer Heimatstadt noch niemals so voller Menschen gesehen, noch nicht einmal damals, als der König persönlich Salazar besucht hatte. Doch dieses Chaos war nicht voller Leben. Es schmeckte bereits nach Tod. Die Schreie überlagerten sich, Stimmen von Frauen, Männern, Kindern, ein unwiderstehlicher Strom, der sich an den Mauern brach und alles mit sich riss, was sich ihm in den Weg stellte. Gewiss, einige riefen auch zur Besonnenheit auf. Andere versuchten, alle Kampffähigen zusammenzutrommeln und einen Widerstand zu organisieren. Doch die traurige Wahrheit war, dass es keinen Ausweg gab. Was hätten sie auch tun können? König Darnel hatte bereits vor Jahren sein Heer in den Dienst des Tyrannen gestellt, und die Bewohner Salazars, vielfach Flüchtlinge, die hier vor den Grausamkeiten der Kriege in anderen Ländern Zuflucht gesucht hatten, waren zu schwach, um irgendetwas auszurichten. Ehrenhaft sterben hätten sie können, indem sie den Kampf aufnahmen. Aber wozu?
Und so suchte jeder sein Heil in einer aussichtslosen Flucht: Denn in einem wahnwitzigen Tempo hatte das Heer die Ebene durchquert, stand schon vor den Stadtmauern und schickte sich an, die Stadt einzuschließen.
Das Entsetzen beherrschte mittlerweile die ganze Turmstadt: Weinende Frauen drückten ihre Kinder an die Brust, Männer sprangen aus den Fenstern in die Tiefe, einige wenige Mutige bahnten sich mit Waffen in der Hand einen Weg durch die aufgebrachte Menge.
Nihal versuchte, sich zu Livon durchzuschlagen. Sie mussten zusammen fliehen. Sie kannte alle Schleichwege Salazars, hatte sie über Jahre im Spiel erkundet. Sie würden schon einen Fluchtweg finden. Ja, gewiss, sie würden sich retten können. Sie durfte keine Angst haben. Sie musste besonnen bleiben. Und konzentriert.
Die Werkstatt war nicht weit entfernt, doch Nihal steckte in der Menge fest. Sie vernahm Rufe von Soldaten vor den Mauern, und kurz darauf die Schläge eines Rammbocks, mit dem sie sich schon anschickten, das Haupttor Salazars zu durchbrechen.
Wir sind verloren , dachte sie, um sich im nächsten Augenblick diesen Gedanken zu verbieten und sich weiter unverdrossen durch die panische Menge zu kämpfen. Wieder ein Schlag, und noch einer.
Nur noch wenige Meter. Ich sehe schon das Schild.
Ein mächtiger Donner: Das Haupttor hatte nachgegeben - wie Grashalme bogen sich seine schweren Angeln, das jahrhundertealte Holz barst und zersplitterte.
Und mit Kriegsgeheul drangen die Soldaten des Tyrannen in die Stadt ein. Nihal stürzte in die Werkstatt. »Vater, wir müssen fliehen! Komm, schnell!« Livon hatte bereits ein Bündel Kleider zurechtgelegt und war dabei, seine Schwerter einzusammeln. Er blickte Nihal nur flüchtig an und eilte in den hinteren Teil der Werkstatt.
»Warte, du musst was überziehen. Ich hole dir einen Umhang.«
»Aber was redest du denn da? Wir müssen los. Auf der Stelle!«
»Sie dürfen dich nicht erkennen, Nihal!«
Das Mädchen begann zu schreien. »Was soll das? Wir haben keine Zeit mehr. Verstehst du denn nicht? Wir müssen fliehen, wir müssen uns verstecken.«
»Du verstehst nicht! Wenn sie dich erkennen, ist es aus. Sie werden dich töten!« Von draußen vernahm man Gebrüll, ordinäres Gelächter und unmenschliche kehlige Laute. Die Soldaten waren in der Stadt.
Nihal wusste nicht, was sie tun sollte. Livon schien den Verstand verloren zu haben. Sie beschloss, kurzen Prozess zu machen: Sie packte ihn und versuchte, ihn hinauszuschieben. »Jetzt komm schon, verflucht noch mal! Beweg dich!« Es war zu spät. Krachend flog die Tür der Werkstatt auf.
Auf der Schwelle standen zwei Ungeheuer mit langen, nach oben gebogenen Reißzähnen und einem roten stacheligen Fell. Ihre Hände und Füße waren identisch und wiesen vier Zehen mit langen Krallen auf. Der eine trug eine Streitaxt, der andere ein ungewöhnlich langes, grob geschmiedetes Schwert. Ihre Stimmen schienen geradewegs aus der Hölle zu kommen.
»Schau mal einer an, welch nette Überraschung. Ein Alter und eine Halbelfe. Wieso lebst du eigentlich noch, du kleiner Bastard?«
Nihal hörte gar nicht, was sie sagten. Alle
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