Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
humpelnd, ihr linkes Bein nachziehend, immer weiter durch die Finsternis.
Sie musste weiter, durfte nicht stehen bleiben, durfte nicht nachdenken. Livon war gestorben, um sie zu retten. Und sie musste leben.
Sie wusste nicht, wie lange sie schon in dem Gang unterwegs war. Stunden? Oder nur wenige Minuten? Als sie eine Brise frischer Luft im Gesicht spürte, beschleunigte sie instinktiv ihre Schritte. Noch einige Minuten, oder vielleicht doch wieder Stunden. Bis sie ihn fand.
In der Wand war ein Spalt, der ins Freie führte, der Rettung entgegen. Der Freiheit. Nihal trat heran und blickte hindurch: Unter ihr war ein breiter Kanal, in dem Abwässer flössen. Nihal nahm ihre letzten Kräfte zusammen. Sie kratzte mit den Fingern zwischen den Backsteinen und vergrößerte so den Spalt, bis sie sich hindurchzwängen konnte. Dann holte sie tief Luft und ließ sich einfach fallen. Das Wasser war unangenehm kalt, und sie fühlte sich so schwach, dass sie sich kaum bewegen konnte, und glaubte, ertrinken zu müssen. Da ließ sie sich vollkommen gehen, und das Wasser zog sie mit sich, über eine Strecke, die ihr sehr lange vorkam. Hin und wieder merkte sie, dass das Ufer greifbar nahe war, aber all ihre Kräfte waren verbraucht. Sie wollte nur noch mit geschlossenen Augen dahintreiben. Schlafen. Vergessen.
Plötzlich spürte sie, wie jemand ihren Arm ergriff. Das war's. Es ist aus, sagte sie sich. Endlich ist es vorbei. Irgendjemand begann, sie aus dem Wasser zu ziehen. Aber sein Gesicht verschwamm vor ihren Augen. »Nihal!«
Die Stimme schien von weit, weit her zu kommen. »Nihal, ich bin's doch. Sennar!« Das Mädchen schlug die Augen auf. »Livon ... Livon ist tot«, murmelte sie. Der Rest war wie in ihrem Traum.
Sie sank zurück, und Dunkelheit umfing sie.
Kämpfen
Er war fast noch ein Junge, als er dem Rat der Magier beitrat. Im Land der Nacht geboren und mit einer außerordentlichen magischen Begabung gesegnet, erweckte er den Eindruck eines klugen, dem Guten und der Gerechtigkeit zugetanen jungen Mannes. Seine Aufnahme erfolgte einstimmig. Erst als er auf ein Jahr zum Vorsitzenden des Rates ernannt wurde, zeigte er seine wahre Natur und begann, die anderen Ratsmitglieder von den wichtigsten Entscheidungen auszuschließen.
(...) unehrenhaft wurde er davongejagt, doch der junge Magier hatte bereits alles perfekt geplant. Er selbst führte den Sturm auf den Ratssaal an, an der Spitze jener Männer und mit jenen Waffen, die ihm die von Nammen vertriebenen Könige zur Verfügung gestellt hatten. Denn diese brannten darauf, sich ihre verlorenen Ländereien Zurückzuerobern.
Nur wenige Zauberer entkamen dem Blutbad und flüchteten sich ins Land der Sonne, doch jener, der sich bald zum Tyrannen aufschwingen sollte, ließ sie gewähren: Im Verlaufe nur weniger Stunden war er zum Herrscher über die halbe Aufgetauchte Welt geworden. Denn bald entmachtete er auch die Regenten, die ihn unterstützt hatten, so dass ihm vier Länder Untertan waren: das Land der Tage, das des Feuers, das der Felsen und das der Nacht. Und der Krieg gegen die vier freien Länder begann und fand bis heute kein Ende mehr.
AUS DEN ANNALEN DES RATS DER MACIER, FRACMENT
9. Die Wahrheit
Sie war zu schwach, um auch nur den kleinsten Muskel zu bewegen, und wusste nicht, wo sie sich befand und was geschah. Undeutlich hatte sie eine Art Litanei im Ohr. Ih re Seite fühlte sich ganz warm an. Dann sah sie nur noch Licht. Nichts anderes mehr. Der Morgen graute, als Nihal erwachte. Fahles Licht sickerte durch das Fenster hinter ihrem Lager. Sie konnte sich kaum an etwas erinnern. Eine lange Wanderung durch etwas Enges, Dunkles, auf der Flucht vor einer Bedrohung.
Erst langsam und stückweise kehrte ihr Gedächtnis zurück. Sie erinnerte sich, dass sie vor feindlichen Soldaten geflohen war und jemand sie ergriffen hatte, doch der Raum, in dem sie lag, sah nicht wie ein Gefängnis aus. Plötzlich merkte sie, dass jemand neben ihr saß, und bemühte sich, genauer hinzuschauen, um das Gesicht zu erkennen, denn ihr Blick war getrübt. Schließlich erkannte sie ihn.
»Nihal, bist du wach?«
Sennar sah bleich und erschöpft aus. Sie wollte ihn etwas fragen, doch ihrer Kehle entwich kein Ton.
»Schschsch. Du bist bei Soana, in Sicherheit. Ruh dich aus, wir reden später, wenn es dir besser geht.«
So schloss Nihal wieder die Augen und glitt hinüber in einen traumlosen Schlaf, der den ganzen Tag und die ganze Nacht währte.
Als sie am nächsten Tag die Augen
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