Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
Schlafsälen.
Nihal setzte sich auf und bemerkte plötzlich, dass sich die Tür des Kämmerchens langsam öffnete.
Um sie herum war es noch dunkler als zuvor, denn mittlerweile war die Sonne untergegangen. Und erst als die Tür ganz offen stand, erkannte sie eine gedrungene Gestalt, die hinkend auf sie zukam.
»Wer da?«, rief sie, plötzlich hellwach.
Die Gestalt blieb stehen. »Ich nicht böse, ich nicht böse. Hier finster, willst du Licht. Ich komm rein, bringe Licht. Lahar mich geschickt. Keine Angst, keine Angst.« Die Gestalt hatte eine kreischende, klagende Stimme. Sie trat näher und begann, Nihals Arm zu streicheln.
Das Mädchen sprang auf. »Was willst du von mir?«
»Nichts Böses, ich bringe Licht für dich, dann kannst du sehen. Und ich dich rufen, zum Abendessen.«
Endlich konnte Nihal den Mann besser sehen.
Nichts Menschliches war an ihm: Er war klein und beleibt, der Kopf vollkommen kahl, ein Bein war aus Holz. Sein Körper, dem alles Symmetrische fehlte, sah wie eine alte zerschlissene Flickenpuppe aus. In seiner Miene wechselten sich Schalk und Unterwürfigkeit ab. Und in der Hand hielt er eine Lampe.
»Nichts Böses, nichts Böses ...«
»Ich hab verstanden, hör auf damit! Wer bist du?«
»Malerba, ich diene hier. Nichts Böses, keine Angst ...«, und schon streckte er wieder die Hand nach ihr aus.
Erschrocken wich Nihal zurück. Die Vorstellung, von diesem Individuum berührt zu werden, widerte sie an. »Danke für das Licht. Mehr brauche ich nicht. Geh jetzt.«
Malerba setzte eine zerknirschte Miene auf und zog sich, wie ein Krebs rückwärts laufend und sie dabei unverwandt anstarrend, aus dem Kabuff zurück. Nihal hängte die Lampe an die Wand. Das Licht beruhigte sie. Denn diese unvermutete Erscheinung hatte sie aufgewühlt: Ihr war, als klebte noch immer der Blick dieses missgestalteten Wichts auf ihrer Haut. Und so beschloss sie doch, sich in den Speisesaal zu begeben, um dieses unangenehme Gefühl loszuwerden.
Der Saal war voller junger Burschen, die lärmend an den Tischen saßen. Beim Anblick dieser Gleichaltrigen hob sich Nihals Stimmung ein wenig, und sie dachte, dass sie im Grunde doch nicht so allein war. Sie trat näher, um sich einen freien Platz zu suchen.
Doch kaum hatte man sie erblickt, verstummte augenblicklich der ganze Saal. Nihal verlangsamte ihren Schritt. Was war nur los?
Alle Augen waren auf sie gerichtet: Die Blicke wirkten verwundert, erschrocken, bedrohlich, misstrauisch. Noch nie im Leben hatte sie sich so durchdringend gemustert gefühlt.
Sie entdeckte einen freien Platz und hielt darauf zu. Doch als sie sich setzen wollte, legte der Junge daneben flugs seine Hand darauf: »Besetzt.«
Nihal suchte weiter, doch wohin sie auch kam, die Reaktion war immer gleich: »Besetzt.«
Da plötzlich hallte eine Stimme durch die Stille im Speisesaal. »Was ist das für eine Aufmachung, Halbelfe?«
Nihal blickte sich um. Auf einem Podium, von den Jungen getrennt, saßen die Lehrer. »Ja, was ist denn damit?«
»Du bist doch Schüler, oder zumindest sagt man das«, erklärte mit einem sauren Lächeln der Mann, der sie angesprochen hatte, »das heißt also, du hast Schülergewänder zu tragen.«
Nihal spürte, dass sie in diesem riesengroßen Saal, wo ihr von allen Seiten Feindseligkeit entgegenschlug, all ihre Kraft verloren hatte. »Es tut mir Leid, man hat mir keine ausgehändigt ...«, entschuldigte sie sich.
»Dann durftest du hier auch nicht erscheinen. Hat Lahar dich nicht über die Regeln unterrichtet?«
»Doch, aber ich ...«
»Du wirst dein Fehlverhalten mit einem zusätzlichen Wachdienst abbüßen. Und was deine Kleidung betrifft, so wird dich Malerba später mit dem Nötigsten versorgen.« Einer der Jungen lachte.
»Und nun nimm Platz und iss.«
Auch die Jungen aßen weiter.
Nihal trat auf den letzten Platz zu, der ihr frei zu sein schien. Doch man ließ ihr noch nicht einmal Zeit zu fragen.
»Keine Frauen und keine Ungeheuer«, beschied ihr grimmig einer der Jungen. Nihal entfernte sich. Was sollte diese Bemerkung bedeuten? In der Aufgetauchten Welt wimmelte es von verschiedenen Rassen: Nymphen, Kobolde, Gnomen, Menschen. Was sollte das heißen, da sei kein Platz für Ungeheuer?
In einem Land aufgewachsen, wo Mischlinge zum üblichen Bild gehörten, hatte sich Nihal nie etwas daraus gemacht, dass sie anders war. Doch hier, unter der Elite der Menschen, kam sie sich wie ein Scherz der Natur vor.
Ganz allein, abseits der anderen, setzte sie
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