Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
fürchteten. Im ersten Monat kam Sennar sie nicht besuchen. Auch nicht im zweiten, und im dritten auch nicht.
Dabei hatte sie ein verzweifeltes Bedürfnis, mit ihm zu reden, von ihm zu hören, dass alles gut würde, dass die finsteren Nächte vorübergingen. Doch sie erhielt nur eine lakonische Mitteilung, die ihr der Falke, den sie ja bereits kannte, überbrachte: »Ich bin völlig erschöpft, man gönnt mir keinen Moment Pause, aber sonst geht es mir gut. Ich habe dich nicht vergessen.«
Und so wurde Nihal zu einem finsteren, schweigsamen Wesen.
Körper und Seele waren allein darauf ausgerichtet, ihre Fechtkunst zu verfeinern. Ihr Kampfstil wurde immer aggressiver und brutaler.
Und sie selbst immer geschickter, schneller und erbarmungsloser.
Nihals Lehrer Parsel blieb ihr Talent natürlich nicht verborgen, und er litt darunter, mit ansehen zu müssen, wie es unter diesen Bübchen, die kaum mit der Waffe umgehen konnten, vergeudet wurde.
Eines Tages nahm er sie beiseite. »Ich sehe, wie du dich bewegst, wie du kämpfst. Du bist wirklich sehr gut, Nihal.«
Sie blickte ihn argwöhnisch an: Sie wusste nicht, inwieweit sie ihm trauen konnte. Diese Worte konnten auch leeres Gerede sein.
»Hast du schon echte Kampferfahrung?«
Nihal erzählte ihm von ihren Unterrichtsstunden bei Livon und Fen, und dass sie bereits drei Fammin getötet hatte, zwei in Salazar und einen im Grenzgebiet zum Land des Windes.
»Wusst ich's doch. So ist es wahr, was man von dir erzählt!«
Der Fechtlehrer lächelte sie an, und Nihal, die sonst stets so stolz und unnahbar auftrat, senkte den Blick.
Parsel erklärte, es wäre sinnvoller, wenn sie sich nun im Gebrauch jener Waffen übe, mit denen sie bislang noch keine Erfahrung hatte.
»Ich habe Raven vorgeschlagen, dass du in eine andere Gruppe kommst, damit du andere Kampftechniken kennen lernst. Leider hat er meinem Antrag bis heute noch nicht entsprochen.«
Nihal seufzte. Binnen weniger Augenblicke hatten sich die Tore ihres Gefängnisses einen Spalt geöffnet und sofort wieder geschlossen.
»Der Mann hasst mich eben ...«
»So solltest du über den obersten General nicht reden. Du hast ihn nie im Kampf erlebt. Er war einer der Besten. Die Aufgabe als Befehlshaber dieser Ausbildungsstätte hat ihn schlaff gemacht, aber glaub mir, im tiefsten Innern ist er auch heute noch ein tapferer, aufrechter Mann. Er sieht, wenn jemand ein wahrer Krieger ist. Sobald du ihm gezeigt hast, was du im Kampf wert bist, wird er seine Meinung ändern. Denn der Krieg ist etwas vollkommen anderes als das, was hier drinnen vor sich geht.«
Als Parsel ihr vorschlug, sie außerhalb der Unterrichtszeiten im Gebrauch der Lanze auszubilden, fühlte sich Nihal wie aus einer langen Gefangenschaft befreit. Fast jeden Abend kämpften sie nun, und dabei konnte sie nun endlich ihre Geschicklichkeit voll und ganz ausspielen. Zudem begeisterte sie der Umgang mit der Lanze: Sie erlernte den Nahkampf und den Angriff zu Pferd. Durch all das Neue fühlte sie sich nun endlich wieder lebendig.
Parsel seinerseits nahm Anteil an ihrem Schicksal: Er bewunderte ihre unerschütterliche Hingabe und Zähigkeit und staunte immer wieder über ihr außerordentliches Talent.
Gleichzeitig spürte er in ihr aber auch eine tiefe, für eine Person dieses Alters ungewöhnliche Traurigkeit. Und er, dem immer die Zuneigung einer Familie fehlte, weil er sich ganz dem Kriegshandwerk verschrieben hatte, empfand gegenüber diesem Mädchen fast väterliche Beschützerinstinkte.
So entstand zwischen den beiden eine seltsame Nähe.
Denn die einzige Kommunikationsform, die sie verband, war der Kampf. Sie unterhielten sich durch ihre Waffen: Nihal war verschlossen, scheu, und die einzigen Situationen, in denen sie Gefühle zuließ, waren die bewaffneten Auseinandersetzungen.
Und ihr Lehrer lernte, aus ihren Bewegungen den Gemütszustand seiner Schülerin herauszulesen, und er antwortete ihr, indem er versuchte, den Wall aus Groll und Kränkung niederzureißen, den Nihal um sich herum errichtet hatte.
Sie wurden keine echten Freunde. Nur einmal schüttete Nihal ihm ihr Herz aus. Und das war, als eines Abends das Gespräch auf Malerba kam. Sie gestand ihm, dass sie sich vor ihm fürchtete, und erzählte ihm von dem nächtlichen Vorfall in ihrer Kammer. Parsel hörte zu und schüttelte schließlich den Kopf: »Du solltest ihn nicht hassen. Er hat Schreckliches durchmachen müssen.«
Nihal horchte auf.
»Er ist ein Gnom, aber wir wissen
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