Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
erkennen, was ich kann und in welche Gruppe ich gehöre.«
Sie machte Anstalten, ihr Schwert zu ziehen, doch Parsel hielt sie zurück. Langsam wurde er ungeduldig. »Hör mal zu, Mädchen. Für mich ist es bereits befremdlich genug, dass eine Frau den Umgang mit dem Schwert erlernen soll. Und deshalb rate ich dir, dich bedeckt zu halten und das zu tun, was ich hier anordne.«
Nihal fügte sich.
Den ganzen Morgen hatte sie nun Dinge zu tun, die ihr längst vertraut waren, und sich wie eine blutige Anfängerin in den einfachsten Übungen mit den anderen zu messen, wobei sie das Bübchen, das man ihr gerade gegenüber stellte, jeweils auf Anhieb mit Leichtigkeit entwaffnete.
Sie dachte daran, wie sie sich das Leben in der Akademie ausgemalt hatte. Sie verglich diese Träume mit der Wirklichkeit.
Und eine tiefe Traurigkeit überkam sie.
14. Die Rekrutin Nihal
Jener Tag war nur der erste in einer langen Reihe trauriger Tage, die bestimmt waren von Einsamkeit und vom Grau des Winters, das sich auch über das Land der Sonne gelegt hatte.
Auch die Gewöhnung änderte nichts am Verhalten der anderen Schüler Nihal gegenüber. Sie war eine Frau, sah bizarr aus, und über kurz oder lang begannen alle, sie auch zu fürchten.
Je mehr Zeit verging, desto öfter hatte Nihal Gelegenheit, ihre außerordentlichen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, und falls jemand nicht mitbekommen hatte, wie sie sich ihre Aufnahme in die Akademie erstritten hatte, so wusste er jetzt längst davon. Man begann zu munkeln, sie sei eine Art Hexe, der Abkömmling einer üblen, nur auf Gewalt und Verderben eingestellten Rasse. Einer unterstellte sogar, sie sei ein Spitzel im Auftrag des Tyrannen und Teil eines Plans, die Akademie von innen heraus zu zerstören. Die Folge dieses Geredes war, dass sich alle noch mehr von Nihal fern hielten: Kam sie ihnen im Flur entgegen, bildeten die Jungen sogleich eine Gasse und bedachten sie, während sie hindurchging, mit feindseligem Gemurmel und ablehnenden Blicken.
Die Furcht vor ihr verstärkte sich noch nach einem nächtlichen Zwischenfall: Häufig geschah es, dass sich die Jungen des Nachts vor ihrer Tür versammelten, um sie zu stören, dann aber rasch, sobald sie sich drinnen regte, das Weite suchten.
An einem Abend nun hatte Nihal, wie so oft von ihren Albträumen geplagt, nicht bemerkt, dass jemand in ihre Kammer vorgedrungen war. Während sie schlief, kamen die flehenden Gesichter, die sie in ihren Träumen bedrängten, immer näher, immer näher, so dass sie fast schon zu ersticken glaubte.
Da spürte sie, wie jemand sie berührte.
Mit einem entsetzlichen Lächeln im Gesicht hatte sich Malerba über sie gebeugt und, einen unverständlichen Singsang brummend, damit begonnen, sie zu streicheln. Nihal schrie auf, griff zu ihrem Schwert und setzte es ihm an die Kehle. Der Diener brach in Tränen aus und flehte um Gnade, doch Nihal war außer sich vor Zorn. Sie packte ihn und schleifte ihn auf den Flur, wo sich wieder mal eine kleine Schar schlafloser Jungen versammelt hatte. Beim Anblick dieser Furie mit dem erhobenen Schwert wichen alle zurück.
»Jetzt passt mal gut auf, ihr Bastarde! Was ihr jetzt seht, widerfährt jedem, der es noch einmal wagt, mir zu nahe zu kommen!«
Und damit zog sie die Klinge über Malerbas Kehle, der wie ein Schwein in Todesangst schrie. Es war nur ein Kratzer, doch seit jener Nacht hatte es mit den Versammlungen vor ihrer Kammer für immer ein Ende.
Dennoch wurden Nihals Nächte nicht ruhiger.
Die Einsamkeit und die Feindseligkeit um sie herum ließen sie immer tiefer in ihren Albträumen versinken. Keine Nacht verging, ohne dass die Gesichter der Halbelfen sie bedrängten. Dann wachte sie mit pochendem Herzen auf, und der Anblick ihrer Kammer beruhigte sie nicht etwa, sondern steigerte noch ihre Erregung, denn sie fühlte sich eingeschlossen wie in einem Sarg. Sie setzte sich auf und hockte dann, die Arme um ihre Knie geschlungen, nur so da, blickte auf jenen schmalen Streifen Himmel, der durch die Schießscharte zu erkennen war, und bemühte sich, ihre Beklemmung loszuwerden.
Doch in der nächsten Nacht begann wieder alles von vorn.
Der Gedanke, einmal ihren Vater und ihr Volk zu rächen, beherrschte sie täglich mehr. Der Schmerz machte sie hart. Hatte sie zu Beginn noch unter dem Hass ihrer Gefährten gelitten, so gewöhnte sie sich mit der Zeit daran und freute sich schließlich sogar darüber. Es verschaffte ihr Genugtuung, dass die anderen sie
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