Die Drachenkämpferin 02 - Der Auftrag des Magiers
ganzen Hass, den sein Urheber hineinlegt. Eben dadurch scheint der Gnom unsterblich zu sein.« »Das verstehe ich nicht«, unterbrach ihn Nihal verwirrt.
»Denk an Dolas Rüstung, Nihal. Sie ist wie ein unverwundbares Lebewesen. Noch nicht einmal die gewaltigsten Hiebe können ihr etwas anhaben, denn sie ist imstande, sich selbst zu reparieren. Der Zauber, den ich dir beibringen will, heißt Unauslöschlicher Schatten und ermöglicht es, jeglichen Schutzwall zu durchbrechen und unheilbare Wunden zuzufügen. Richte ihn auf dein Schwert, und du wirst in der Lage sein, Dolas Rüstung zu durchschlagen. Aber du musst wissen: Der Zauber wird dir nicht genügen, ihn zu besiegen. Würdest du mit diesem Zauber einen Menschen treffen, einen Gnom oder auch einen Fammin, stürbe er auf der Stelle. Doch Dolas Rüstung wird nicht von deinen Hieben zerstört, sie ist bloß nicht mehr unverwundbar ...« »Also macht uns der Unauslöschliche Schatten ebenbürtig«, fiel ihm Nihal wieder ins Wort. »Du wirst diesem Mann niemals ebenbürtig sein, denn seine Macht leitet sich von der Magie des Tyrannen ab. Doch sein Körper besteht aus Fleisch und Blut, und mit diesem Zauber kannst du ihn verwunden.«
Nihal nickte. »Sprich weiter.«
»Hass schlummert in jedem von uns, irgendwo verborgen in unserer Seele. Das weißt du nur zu gut, Nihal. Um den Unauslöschlichen Schatten ins Werk setzen zu können, musst du diesen Hass neu entfachen. Aber damit wird dich auch wieder der ganze Schmerz überkommen, der damit verbunden war. Gelingt es dir, den Hass zu kontrollieren und den Schmerz auszuhalten, wirst du auch den Zauber beherrschen.«
Nihal war sich nicht ganz sicher, ob sie alles verstanden hatte. »Aber wie funktioniert der Zauber denn nun? Was habe ich zu tun?«
»Mehr kann ich dir mit Worten nicht erklären. Du musst dich entscheiden, ob du dich auf einen Versuch einlassen willst.«
»Was passiert denn, wenn ich scheitere?«, fragte Nihal. Ihrer Stimme war deutlich Angst anzuhören.
»Dann wirst du sterben«, antwortete der Greis schlicht.
Als ersten Schritt ließ Megisto Nihal das sogenannte Blaue Licht entzünden, ein einfacher Zauber, der ihr auch ohne große Mühe gelang. In ihrer geöffneten Handfläche loderte ein bläuliches Flämmchen auf.
»Gut«, murmelte der Greis, »jetzt können wir beginnen.«
Nihal spürte ihr Herz schneller schlagen. Jetzt, im entscheidenden Moment erfasste sie Angst, eine nackte, tief sitzende Angst.
»Sprich mir nach: Vrasta Anekhter Tanhiro.«
»Vrasta Anekhter Tanhiro«, murmelte Nihal.
»Noch einmal: Vrasta Anekhter Tanhiro«, wiederholte Megisto. »Vrasta Anekhter Tanhiro. Weiter, nicht nachlassen.«
»Vrasta Anekhter Tanhiro«, sprach sie ihm nach.
»Besinne dich auf die Verzweiflung, die du in deinem Leben verspürt hast. Doch Vorsicht! Verliere dich nicht darin, versuche, sie zu beherrschen.«
Nihal sah den Blick des Greises starr auf sich gerichtet, dann schloss sie die Augen. Sie wiederholte diese sinnlosen Worte und dachte dabei an die Vergangenheit. Gar zu lebendig war noch die Erinnerung an die Geschehnisse, die ihr so viel Leid verursacht hatten. Während ihr die Litanei wie ein hypnotisierender Gesang über die Lippen kam, dachte sie zurück an Livons Tod. Zunächst hatte sie die Werkstatt des Vaters vor Augen, leer und still. Dann kamen die Geräusche hinzu, das entsetzliche Kampfgetöse jenes Tages: wütendes Gebrüll, Entsetzensschreie, Waffenklirren, das Zischen der Streitäxte, die auf die Bewohner Salazars niederfuhren, die dumpfen Schläge fallender Körper. Vrasta Anekhter Tanbiro. Vrasta Anekbter Tanbiro. Sie hatte das Gefühl zu schweben. Die Welt um sie herum verschwand, was blieb, war das Gefühl der Wärme in der Hand. Wie ein Echo erreichte sie Megistos Stimme: »Tauche ein, Nihal, tauche ein.« Plötzlich wurde es lebhaft in der Werkstatt. Auf der einen Seite befand sich Livon, damit beschäftigt, in einer Truhe zu kramen. Dann erschien ein junges Mädchen mit spitz zulaufenden Ohren, großen schmachtenden Augen und einem schwarzen Schwert an der Seite. Vrasta Anekbter Tanbiro, Vrasta Anekhter Tanbiro, Vrasta Anekbter Tanbiro ...
Da sind sie. Zwei Fammin, mit Streitaxt und Schwert bewaffnet. Dringen ein, erblicken sie, lachen. Das Klirren sich kreuzender Klingen. Livon, der ihr zuruft, sie soll abhauen. Vrasta Anekhter Tanbiro, Vrasta Anekbter Tanbiro. Livon kämpft. Warum lässt er sich darauf ein? Flieh! Lauf! Vrasta Anekhter Tanbiro, Vrasta Anekhter
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