Die Drachenkämpferin 02 - Der Auftrag des Magiers
niedergemetzelten Brüder und Schwestern, und alte Albträume vermischten sich mit neuen. Sie stand es durch, schaffte es aber nicht, den Unauslöschlichen Schatten zu gewinnen, weil das Jenseits sie hinabzog, tiefer und immer tiefer, und sie kein Mittel fand, sich dessen zu erwehren.
»Deine Entschlossenheit ist alles, was du dagegen aufbieten kannst, Nihal. Dein fester Wille, nicht wieder in den Abgrund zu stürzen. Dies ist dein Rettungsanker«, sprach Megisto zu ihr. Nacht für Nacht begab sich Nihal zur Lichtung, obwohl ihr Körper sich dagegen sträubte. Wenn die Sonne unterging und langsam hinter den Baumkronen verschwand, spürte sie schon, wie sich ihr Magen verkrampfte, Übelkeit in ihr aufkam und ihr das Blut heftig in den Schläfen zu pochen begann. Nacht für Nacht lernte sie, sich der Schreckensbilder besser zu erwehren, bei Bewusstsein zu bleiben, während die Flamme in ihrer Hand langsam schwärzer wurde. »Du bist nahe dran«, machte der Alte ihr Mut, und Nihal widerstand dem Aufbranden von Hass und Schmerz.
Am letzten Abend ihres Urlaubs gelangte sie an das Ziel dieser grauenvollen Reise. Als sie die Augen aufschlug und unter Aufbietung all ihrer Kräfte aus der Finsternis auftauchte, glitzerte in ihrer Hand eine schwarze Kugel: Sie war nur wenig größer als ein Apfel und schwebte über der Handfläche ihrer Linken und sandte ein düsteres Schimmern aus. Nihal starrte sie staunend an. Sie hatte es geschafft.
»Dies ist der Unauslöschliche Schatten«, erklärte Megisto mit tiefer Stimme. »Stärkst du vor dem Kampf gegen Dola mit diesem Zauber dein Schwert, wird es dir möglich sein, seine Rüstung zu durchschlagen. Schließt du die Hand, verschwindet die Kugel, und der Zauber ist gebrochen.« Nihal schloss die Finger, und das Licht erlosch.
»Danke, Megisto«, murmelte sie.
»Danke mir nicht. Denn dies ist ein tödliches Geschenk. Und vergiss nie: Versuchst du, diesen Zauber ein zweites Mal anzuwenden, wirst du sterben. Und nun beuge dein Haupt.« Nihal gehorchte, und der Greis legte ihre beide Hände auf den Nacken und sprach leise eine Zauberformel. Dann hob er ihr Kinn mit einer Hand und blickte ihr fest in die Augen. »Dein Wunsch nach Wahrheit könnte sich bald erfüllen, Nihal. Aber bedenke, manchmal ist die Wahrheit ein gefährliches Gut.« »Was meinst du damit?«, fragte Nihal verwundert.
»Jedes Geschöpf muss seinen eigenen Weg finden, das weißt du doch, Nihal«, erwiderte der Greis. Er stand auf. »Und nun geh. Hiermit endet unsere Begegnung.«
Auf Oarfs Rücken dachte Nihal über Megistos Worte nach: Was sollte an der Wahrheit so gefährlich sein? Seit sie von ihrer Herkunft wusste, wünschte sie sich nichts mehr, als die ganze Wahrheit zu erfahren. Ach, Prophezeiungen, sagte sie sich. Dann trieb sie ihren Drachen an und flog auf kürzestem Weg zum Lager zurück.
21. Die Versuchung des Todes
Nihal hatte gehofft, die Aneignung des Unauslöschlichen Schattens würde keine Spuren hinterlassen, aber so war es nicht. Seit sie in den Abgrund geschaut hatte, suchten die Bilder ihrer Albträume sie wieder häufiger heim. Was hab ich da bloß in Gang gesetzt?
Während sie von dem Dorf, in dem sie und Laio jene zwei Wochen verbracht hatten, zurück in das Land des Windes unterwegs waren, hoffte Nihal, das zu Ende bringen zu können, was sie sich vorgenommen hatte, und sich dabei doch selbst treu zu bleiben.
»Und, siehst du jetzt klarer?« Die Pfeife im Mund, wartete Ido vor dem Zelt auf sie. »Das kann man wohl sagen«, log sie.
Der Gnom blickte sie an. »Du bist blass.«
»Nur ein wenig müde.«
Ido klopfte die Pfeife an seiner Stiefelsohle aus und ließ ein Häuflein Asche zu Boden rieseln. »Es ist Mittag. Gehen wir was essen?«
An einem klobigen Holztisch im großen Gemeinschaftszelt vor einem Teller Suppe klärte Ido Nihal über die Lage auf. Während ihrer Abwesenheit hatte die Belagerung angedauert, aber es war ihnen nicht gelungen, auch nur eine Elle Boden zu gewinnen. Die Kämpfe begannen, wenn die Sonne aufging, und zogen sich hin, bis sie lange Schatten in das Steppengras warf. Es gab zahlreiche Opfer auf beiden Seiten, aber etwas Entscheidendes tat sich nicht.
»Im Moment«, schloss Ido, »ist es unsere einzige Hoffnung, sie zu zermürben.« »Und was ist mit Dola?«, fragte Nihal so gleichgültig wie möglich.
Der Gnom schlürfte laut seine Suppe, während Nihal ihn gespannt anstarrte. Dann endlich legte er den Löffel in die Schüssel. »Der ist fort.«
Nihal
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