Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
leichtfüßig, wie sie in das Wasser gegangen war, kam sie nun heraus. »Als ich achtzehn wurde, habe ich mir zwei Dinge gegönnt: ein richtiges Kleid und diese Tätowierung. Jetzt kannst du gucken.«
Sennar öffnete die Augen und sah, dass sie sich in ihren Umhang gehüllt hatte. Aus dem dunklen Stoff schauten nur ihr Gesicht, die spitzen Ohren und die blauen Haare hervor.
So eingepackt streckte sie sich genau unter dem Lichtstrahl neben Sennar aus. »Habe ich dir nie erzählt, dass ich immer schon davon geträumt habe, einfach davonzufliegen?«, fragte sie ihn.
»Nein, aber ich hab's immer gewusst«, antwortete er.
Nihal wandte ihm das Gesicht zu. Sie lächelte: »Deswegen habe ich mir zwei Flügel stechen lassen. Es sind Drachenflügel, weil Oarf mein Gefährte ist und wir zusammengehören, und sie sind geschlossen, weil ich bisher noch nicht abgehoben habe. Eines Tages werde ich meinen Weg finden, und die Flügel auf meinem Rücken werden sich öffnen. Dann kann ich davonfliegen.«
Ohne dass er den genauen Grund hätte benennen können, stimmten Sennar diese Worte traurig.
»Laio haben sie gefallen, er meinte, sie passen zu mir«, fügte Nihal hinzu. Die schmerzliche Erinnerung an den toten Freund überkam sie, und beide verstummten.
Die Erleichterung, endlich das Wasser gefunden zu haben, währte nicht lange. Sie hatten geglaubt, nun sei es einfacher, einer bestimmten Richtung zu folgen, aber das erwies sich als Irrtum. Dazu waren es zu viele Kanäle, die sich in einem dichten Netz immer wieder neu in den seltsamsten Winkeln schnitten und kreuzten. Hatten sie einige Meilen zurückgelegt, gelangten sie zu einem Becken, liefen weiter und fanden sich bei einem anderen Sammelbecken wieder. Irgendwann wussten sie nicht mehr, ob sie sich im Kreis bewegten oder immer wieder zu neuen, ganz ähnlichen Orten kamen, es war, als beschreibe das Wasser nur Bögen und Schlingen und wolle nirgends wirklich hinführen.
Nihal versuchte es noch einmal mit dem Talisman, aber das Bild blieb seit dem ersten Tag unverändert: viel Wasser und eine Insel, etwas anderes konnte sie nicht erblicken. Hinzu kam, dass es immer wärmer wurde.
Anfangs schienen die Kanäle noch kühl und gut belüftet, aber bald schon wurde es immer stickiger und die Luftfeuchtigkeit unerträglich, sie konnten kaum atmen, und lange schon wanderten die beiden schweißgebadet durch diese stickige Düsternis. Je weiter sie vordrangen, desto schlechter wurde der Zustand der Laufstege, sodass sie streckenweise durch das knietiefe Wasser waten mussten. Manchmal hatten sie dabei Glück, und das Wasser floss träge dahin, manchmal aber gerieten sie auch in eine starke Strömung und mussten an der glitschigen Felswand Halt suchen, um nicht fortgerissen zu werden.
In den Kanälen, die sie am vierten Tag erkundeten, fielen ihnen die Zeichen des Verfalls sofort auf. Sehr viele Laufstege waren zerstört, an manchen Stellen war das Gewölbe eingebrochen, und die Trümmer versperrten den Weg, die Ornamente der größeren Hallen waren von Schimmel zerfressen.
Mehr noch als Sennar war Nihal der Situation überdrüssig. Das Halbdunkel schlug ihr aufs Gemüt, Feuchtigkeit und Wärme nahmen ihr den Atem, und zudem wurde sie immer mutloser, denn mittlerweile stand fest: Sie hatten sich verirrt. Orientierungslos wanderten sie umher, und die Halbelfe hatte längst das Gefühl, dass sie den langen Weg, der hinter ihnen lag, vergeblich zurückgelegt hatten.
»So kann das nicht weitergehen«, sagte sie eines Abends. Seit mittlerweile zehn Tagen waren sie dort unten eingeschlossen, und ihre Nahrungsvorräte waren aufgebraucht. Die letzte Wurzel hatten sie gerade geteilt. »Es ist doch offensichtlich, dass wir dem Heiligtum hier unten nicht näherkommen. Wir müssen einen Weg hinaus finden, und sollte er auch geradewegs in den Rachen des Feindes führen.«
Sennar nickte nicht sehr überzeugt.
»Ich weiß«, fügte Nihal hinzu, als sie seinen Gesichtsausdruck sah, »auch das wird nicht leicht werden. Aber schließlich ist das hier doch ein Leitungssystem, das heißt, das Wasser muss auch irgendwohin geleitet werden. Mit ein wenig Glück werden wir schon einen Weg hinaus finden.«
So setzten sie ohne Nahrung und in dieser erstickenden Hitze eine Wanderung fort, die einfach kein Ende nehmen wollte. Hin und wieder bebte der Boden unter ihren Füßen, und sie hörten Donnern und Grollen, so als stimme die Erde ein Klagelied an. »Wir sind eben im Land der Vulkane. Mehr als
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