Die Drachenkrone ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
magisch verstärkten Säure war leer. Erschöpft standen sie sich wieder gegenüber, und jeder scheute sich, das Unausweichliche auszusprechen.
»Uns bleibt nichts anderes übrig. Wir müssen uns trennen«, seufzte Thunin schließlich.
Cay presste Gesicht und Hände gegen das Gitter undstarrte Rolana an. »Das ist viel zu gefährlich«, stieß er hervor. Ihre Finger berührten leicht die seinen.
»Hast du eine andere Idee?«
Cay schwieg. Die Elbe legte ihm den Arm um die Hüfte und lächelte ihn an.
»Kopf hoch. Wir werden uns schon wiedertreffen. Mit wem soll ich mich denn streiten, wenn ich diesen dickköpfigen alten Zwerg verliere? Außerdem brauche ich jemanden, der mich raushaut, wenn ich meine Nase mal wieder zu tief in den Schlamassel gesteckt habe.«
Seufzend entzündete der Schwertkämpfer eine Fackel und folgte Ibis und Vlaros, und auch Thunin und Rolana machten sich auf den Weg. Die Lichter entfernten sich, und bald hüllten die Schatten das Gitter in undurchdringliche Finsternis. Eine Ratte streckte ihre Nase misstrauisch schnüffelnd aus der schmalen Öffnung zwischen zwei Steinen. Ihr schriller Pfiff hallte klagend von den Wänden wider.
Cays Herz wog schwer in seiner Brust. Er konnte die Zuversicht der Elbe nicht teilen, doch er fürchtete sich auch davor, den schrecklichen Gedanken zuzulassen, Rolana auf diese Weise zu verlieren. Cay war an Gefahr und Kummer gewöhnt. Er hatte in seinem Leben gelernt, Abschied zu nehmen und immer wieder neue Wege zu beschreiten. Entbehrungen konnte er mit Gleichmut aushalten, und es machte ihm nichts aus, dass er die Pfade des Schicksals oft nicht zu deuten wusste, doch dieses Mal begehrte es in ihm auf, und er war nicht bereit, die Fügung, die ihn von Rolana und Thunin trennte, einfach so hinzunehmen. So wie erauch nicht bereit gewesen war, den Platz, den seine Familie ihm zugedacht hatte, anzunehmen.
Cay wächst im Süderland, an der zerklüfteten Küste vor der Insel Calphos auf. Seine Eltern und die Brüder bewirtschaften einen kleinen Hof, doch das Land ist karg und der Pachtzins hoch. Nicht immer stehen die Kinder satt vom Tisch auf. In manchem harten Winter ziehen die Bauern der umliegenden Höfe zusammen in den Wald, um zu jagen. Zwar hat der Graf, der das Wildbret für sich allein beansprucht, den Pächtern die Jagd verboten, aber da seine Männer meist nur kommen, um den Pachtzins einzutreiben, werden die Bauern nur selten bei ihrem Waldfrevel erwischt.
An einem sonnigen Frühlingstag läuft Cay zum ersten Mal von zu Hause weg. Mit einem kleinen Bündel auf dem Rücken macht er sich in den Wald auf, um die Elben zu suchen, von denen ihm die Mutter immer wieder erzählt. Er hofft auf ein großes Abenteuer und hält nach den vielen seltsamen Wesen Ausschau, die die abendlichen Geschichten bevölkern, doch er kann keines davon erblicken, und auch sonst widerfährt ihm nichts Aufregendes. Cay ist enttäuscht. Nach den Geschichten und zahllosen Drohungen der Mutter hat er sich die Wälder düsterer und gefährlicher vorgestellt.
Es dauert nur wenige Stunden, bis ihn seine Brüder finden und den schreienden und sich wehrenden Knaben zurück nach Hause schleppen. Cay ist wütend und fühlt sich um sein Abenteuer betrogen. Der Vater verpasst ihm eine kräftige Tracht Prügel, so dass der Junge tagelang das Sitzen vermeidet, und dennoch ist das Fernweh in ihm erwacht und lässt sich nicht mehr zum Schweigen bringen.
Es ist ein hartes Leben, und wenn die Reiter ihres Landesherrn kommen, nehmen sie sich, was ihnen gefällt. Es gibt die Zehntsteuer, doch nur zu oft, wenn die Ernte gut ist, packen sie noch viel mehr auf ihren Wagen. Immer wieder versuchen die Bauern wenigstens einen Teil ihres Viehs rechtzeitig im Wald zu verstecken, doch nicht nur nach Korn und Schweinen steht den Reitern der Sinn. Cay wird wohl nie die Bilder vergessen, wenn die Brüder laut schreiend zum Hof rennen: »Sie kommen, sie kommen!« Und der Vater, Mutter und Schwester packt, um sie in den hintersten Keller zu pferchen, bis die Männer des Grafen den Hof wieder verlassen haben. In geselligen Runden bei Schlehenwein und Met erzählen sich die Alten, welche Gräueltaten die Gräflichen auf den Höfen schon angerichtet haben.
Cay ist unzufrieden. Die Vorstellung, wie sein Vater sein ganzes Leben als Bauer zu verbringen, birgt einen unerträglichen Schrecken in sich. Er will nicht ohnmächtig den Launen eines Landesherrn ausgeliefert sein. Er träumt von der Freiheit, einem Leben
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