Die Drachenkrone ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
die anderen das Amulett in ihrer Hand nicht sehen konnten. Ein winziger, gläserner Drache lag in ihrer Handfläche und sah sie aus seinen bernsteinfarbenen Augen an. Er schimmerte kupferfarben, wenn die Lichtstrahlen über sein detailgetreues Schuppenkleid huschten, und es sah aus, als würde er sich bewegen, als würde sein Atem die Flanken langsam heben und senken. Misstrauisch warf die junge Frau einen Blick über die Schulter, ob sie jemand beobachtete. Dann schlang sie sich schnell das Lederband um den Hals und verbarg den Drachen unter ihrem Hemd. Sie wusste jenseits aller rationalen Gewissheit, sie würde sich von diesem Drachen nicht mehr trennen. Nur der Tod könnte ihr das Amulett wieder entreißen. Wie sie da so sicher sein konnte, wusste sie selbst nicht recht, aber hier unten gab es etwas, das ihre Gedanken genauso lenkte wie ihr Handeln. Nie hätte sie gedacht, dass sie einmal ganz selbstverständlich einen Toten berauben würde.
Während der Zwerg und die Elbe sich zankten und Vlaros möglichst weit vor der verwesenden Leiche zurückwich, schlenderte Cay an den Holzsärgen entlang. Er fuhr mit der Hand über das glatte Holz, das im Laufe der Jahre nachgedunkelt war. Seitlich waren zwei Messingringe angebracht. Er zog an einem der Griffe, um nachzusehen, wer oder was sich in den Särgen befand. Mit einem knarrendenGeräusch schwang der Deckel auf, und er sah auf ein Skelett herab, das ein langes Schwert in seinen knöchernen Händen trug. Cay war es, als glitzere es rot in den leeren Augenhöhlen des Schädels, also beugte er sich tiefer, um zu sehen, woher das Funkeln kam.
Plötzlich entflammten die Kerzen des Kronleuchters, und alle Holzsärge klappten auf. Augen glühten unheilvoll, knöcherne Finger umschlossen kühlen Stahl. Cay taumelte zurück. Das Skelett bewegte sich! Ungläubig sah er, wie sich der Knochenmann aufsetzte und dann die Beine über den Sargrand schwang. Während Cay noch wie versteinert dastand, reagierten Thunin und Ibis sofort. Sie zogen ihre Waffen und drängten Rolana und Vlaros zum Torbogen hinüber.
»Cay!«, brüllte der Zwerg, sprang vor ihn und schlug mit einem kräftigen Axthieb das Skelett, das gerade sein Schwert zum tödlichen Stoß hob, in der Mitte entzwei.
»Was ist das?«, keuchte der Kämpfer und zog nun endlich sein Schwert.
»Untote«, rief der Zwerg und hieb auf das nächste Skelett ein, »böse Kreaturen der schwarzen Magie.«
Das Klirren der Waffen schwoll zu einem Tosen an. Ibis kämpfte geschickt in einem wirbelnden Tanz, der Zwerg hieb mit seiner wuchtigen Axt um sich, und Cay kreuzte seine Schwertklinge mit den Untoten. Rolana lugte erst ängstlich und dann neugierig in die Gruft und beobachtete den Kampf. Sie hörte Thunins Stimme, der seinen Gegnern Flüche an den Kopf warf, und Ibis’ helles Lachen, wenn sie den nächsten Kopf von seinem knöchernen Halswirbel trennte. Plötzlich merkte Rolana, dass Vlaros panisch an ihrem Ärmel zerrte. Sie wirbelte herum und erstarrte. Was sie für das Echo des Kampfes gehalten hatte, entpuppte sich als eine Armee knöcherner Füße, die langsam, aber unerbittlich den Gang entlang auf sie zukam.
»Thunin!«, schrie sie. Der Zwerg kämpfte sich zu ihnen vor. Mit grimmiger Miene warf er einen Blick auf die näher kommenden Skelette und sah dann zur Gruft zurück. Die beiden mussten allein mit den restlichen Angreifern zurechtkommen. Mit einem kämpferischen Schrei stürzte er sich der Knochenarmee entgegen. Vlaros erwachte aus seiner Lähmung und versuchte dem Zwerg mit seinen magischen Pfeilen zu helfen, doch sie flogen zwischen den nackten Rippen hindurch, ohne Schaden anzurichten. Bald war der Zwerg von Angreifern umringt. Seine Stimme übertönte das Klappern der Knochen und die klirrenden Schläge der Klingen. Geschickt schlug er einen Knochenmann nieder und hieb dann dem nächsten den Kopf herunter, so dass der Schädel in hohem Bogen davonflog und an der Wand zersplitterte. Thunin wollte sich gerade zu dem Angreifer hinter sich umdrehen, als dessen Schwert herabsauste. Der Zwerg duckte sich, dennoch streifte ihn die Klinge am Rücken und traf das alte Kettenhemd. Rolana sah, wie er vor Schmerz zusammenzuckte. Wenn sie ihm doch nur helfen konnte! Da erklang die Stimme ihres alten Lehrers in ihrem Kopf.
Sie sind nur die willenlosen Sklaven eines schwarzen Magiers. Es ist unsere Pflicht, gegen sie zu kämpfen, denn es ist kein Leben in ihnen, das wir zu schützen gelobt haben. Soma ist unser Verbündeter
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