Die Drachenkrone ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
stand in krassem Gegensatz zu seinen harten Worten.
Ibis blickte zu Boden. Sie dachte an Adahorn. Der Tag, an dem Thunin sie zum ersten Mal durch die breiten, sauberen Straßen geführt hatte, vorbei an prächtigen Marmorpalästen, durch schattige Eichenalleen und Parkanlagen, wo an murmelnden Brunnen gelehrte Männer und Frauen disputierten.
Adahorn ist ein merkwürdiger Ort. Die weiße Stadt über dem Adasee wird beherrscht von der Universität, die in einem weitläufigen Park gelegen ist, und den zahlreichen Studierhäusern, den Bibliotheken und den Plätzen des dramatischen Schauspiels. Staunend sieht sie sich um und kann gar nicht genug bekommen. Fast ihr ganzes Leben hat die Elbe im Elend und Schmutz der Katakomben von Ehni-port zugebracht, und nun fühlt sie sich von dieser fremden Welt geblendet. Neugierig folgt sie dem Zwerg durch die Stadt und lauscht begierig seinen Worten.
Drüben auf dem Felsen, der weit in den See ragt und dann mit einer Klippe mehrere hundert Fuß steil abbricht, steht das dem Mondgott Soma geweihte Kloster. Wehrhaft und ein wenig abweisend, gewährt es nur den Geweihten Zutritt zu seinen heiligen Stätten.
Die Suche nach Arbeit hat den Zwerg und die Elbe nach Adahorn geführt, denn die Beutel sind leer, und Thunin braucht nach dem harten Winter dringend neue Stiefel. Darüber, wie man in Adahorn zu Geld kommt, bricht ein kurzer, aber heftiger Streit zwischen Ibis und Thunin aus, der damit endet, dass der Zwerg mit mehr als nur Prügel droht, sollte er die Elbe beim Stehlen ertappen. So beschließt Ibis, sehr vorsichtig zu sein und sich auf keinen Fall erwischen zu lassen.
Thunin hat seine eigenen Pläne. In dem großen, weiß schimmernden Gebäude im Zentrum der Stadt bietet er sich dem Rat als Fährtenleser an. Es vergehen einige Tage, doch dann lässt der Rat sie rufen. Sie sollen eine Gruppe von Gelehrten nach Fenon führen. Ein weiter und gefährlicher Weg, erst durch die schwarzen Sümpfe, dann über die weiten Steppen, in denen sich manch räuberisches Gesindel herumtreibt, und nicht zuletzt durch die südlichen Ausläufer des Nebelwaldes, in dem, will man den Sagen trauen, einige kriegerische Elbenstämme hausen.
Ein Bediensteter in den Stadtfarben Blau und Gold führt den Zwerg und die Elbe in eine hohe Halle und gebietet ihnen, hier zu warten. Staunend sieht Ibis durch die hohen, bogenförmigen Fenster in den gepflegten Park hinaus, in dem üppig rote und weiße Zyklas mit ihren duftenden, handtellergroßen Blüten stehen. Schillernde Puckas flattern von einer zur anderen und saugen den süßen Nektar.
Wieder taucht der Bedienstete auf und führt einen jungen Mann herein. Ibis mustert ihn kritisch. Er ist groß und athletisch gebaut, doch das Schwert an seiner Seite scheint eher von minderwertiger Qualität zu sein. Der junge Mann scheint den Blick der Elbe zu spüren. Errötend sieht er auf, dann tritt er zu ihr und dem Zwerg und streckt ihnen verlegen die Hand entgegen. Er sei Cay aus der Süderbucht. Ob sie auch nach Fenon reisen würden? Unsicher spielt er mit seinem Schwertgriff.
Plötzlich öffnet sich eine kaum sichtbare Tür in der Wand, und eine in fließend weiße Gewänder gekleidete Klerikerin betritt die Halle. Eine Schülerin zwar, aber die silbernen Runen auf ihrem Schleier zeigen, dass sie Soma dient und trotz ihrer Jugend zu den Erwählten des heiligen Mannes gehört. Den Blick in weite Ferne gerichtet, zwei dicke Bücher in den Händen, durchquert sie in Gedanken versunken die Halle. Sie scheint die Augen, die auf sie gerichtet sind, nicht zu bemerken. Cay ist plötzlich sehr blass. Das Schwert entgleitet seinen Händen und fällt mit einem ohrenbetäubenden Klirren auf den glänzenden Marmorboden. Die junge Priesterin schreckt auf und sieht den Kämpfer, der nun flammend rot anläuft, verwirrt an. Er stammelt eine Entschuldigung und steckt mit fahrigen Bewegungen das Schwert wieder in die Scheide. In diesem Moment ruft der Bedienstete Thunin und Ibis und fordert sie auf, ihm zu folgen.
Ibis kann sich noch genau an den alten Magier erinnern. Sein ergrautes, fettiges Haar hängt ihm über die Schultern herab, das Gesicht ist zerfurcht und von ungesund wächserner Farbe. Die wasserklaren Augen scheinen die Elbe zu durchbohren.
»Wer ist sie?«, fragt er, und seine Stimme ist spröde wie Glas.
Der Blick macht sie nervös, und ein ungutes Gefühl treibt sich in ihren Eingeweiden herum. So elend hat sie sich noch nie gefühlt. Die Elbe schluckt
Weitere Kostenlose Bücher