Die Drachenkrone ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
Bertram von Reichenberg unmittelbar bevorstand, und es war die Zeit, in der sie ihrem Vater das Herz brach.
»Melanie, wir wollen den heiligen Mann sehen!«
Lea zieht einen Schmollmund, wohl wissend, dass die Kinderfrau ihr nur selten widerstehen kann. Rolana unterstützt die Bitte ihrer jüngeren Schwester.
»Meli, bitte, sei kein Spielverderber. Was sollte der Vater denn dagegen haben, dass wir Somas Heiligen sehen?«
Melanie schweigt. Sicher ist nichts Schändliches daran, den Worten eines Heiligen zu lauschen, doch sie ist sich sicher, dass der Herr Senator sehr wohl etwas dagegen einzuwenden hat, seine Töchter zwischen all den Bettlern und dem anderen Gesindel zu sehen, das sich auf dem großen Platz vor dem Tempel drängt. Noch einmal richtet Rolana ihre dunklen Augen auf die Kinderfrau.
»Bitte, Meli!«
Und so streben die beiden Mädchen mit ihrer Kinderfrau im Schlepptau dem Platz vor dem Tempel zu. Vergnügt drängen sich die Schwestern zwischen den vielen Menschen hindurch, so dass Melanie ihre liebe Not hat, die beiden nicht aus den Augen zu verlieren.
Die Stimme des heiligen Mannes erfüllt den Platz, aber die Schwestern sind viel zu sehr damit beschäftigt, die jungen Männer zu mustern, über Kleider und Kopfputze zu lästern oder über die bunten Gaukler zu staunen, statt den erbaulichen Worten des Hohepriesters zu lauschen.
Nach der Predigt empfängt der ehrwürdige Solano die Menschen. Er lauscht ihrem Kummer und ihren Sorgen, heilt Kranke, und manches Mal wirft er auch einen Blick in die Zukunft.
»Melanie, wir wollen auch mit dem heiligen Mann sprechen«, drängt Lea und zieht die widerstrebende Kinderfrau mit sich. Solano legt dem dreizehnjährigen Mädchen, das ihn in kindlicher Unschuld anstrahlt, die Hand auf die Stirn.
»Du bist mit Glück und Gesundheit gesegnet«, sagt er, doch seine schwarzen Augen suchen Rolanas Blick. Sie dringen in das junge Mädchen ein, und plötzlich spürt sie den Wunsch davonzulaufen, aber diese ernsten Augen zwingen sie, näher zu treten. Verwirrt kniet Rolana nieder. Sie hat das Gefühl, ihm nackt und schutzlos ausgeliefert zu sein, und ein Schauder läuft über ihren Rücken, als er ihr die Hand auf die Stirn legt. Zum ersten Mal spürt sie die göttliche Kraft, die sich wie eine warme Woge in ihr ausbreitet.
»Du bist auserkoren, mein Kind«, sagt er mit weicher Stimme. »Soma wird dich in den Kreis der Erwählten aufnehmen, und du wirst seine jüngste Priesterin sein. Schon bald wirst du in die heilige Stadt Adahorn kommen und im Kloster über dem See deine Ausbildung beginnen. Das Leben hält viel für dich bereit. Du wirst Glück, aber auch sehr viel Leid erfahren, und du wirst dieser Welt mehr schenken, als sie dir zurückgeben kann, denn die göttliche Kraft ist in dir. Ich werde auf dich warten.«
Als er sie loslässt und das warme Gefühl in ihr verblasst, starrt sie den heiligen Mann verwirrt an.
»Ihr seid ja verrückt«, bricht es aus ihr heraus. »Noch ehe der Sommer vorbei ist, werde ich mit Bertram von Reichenberg verheiratet sein.« Sie dreht sich auf dem Absatz herum und rennt die Stufen hinunter.
»Rolana, Rolana, so warte doch!« Lea hat Mühe, die Schwester einzuholen.
»Was ist nur in dich gefahren?«, wundert sich die Kinderfrau und rügt ihren Schützling der ungezogenen Worte wegen, die sie an den heiligen Mann gerichtet hat.
Das junge Mädchen ist vor dem Hohepriester des Mondgottes davongelaufen, aber seinem Bild in ihrem Kopf und seiner Stimme in ihrem Herzen kann sie nicht entgehen. Immer wieder hört sie die Worte in sich, die er gesprochen hat. Sie lassen sich nicht mehr vertreiben. Tag und Nacht trägt Rolana sie in sich. Doch es sind nicht nur seine Worte, die sie nicht mehr zur Ruhe kommen lassen. Das Gefühl, das er in ihr wachgerufen hat, dieses warme Prickeln, das den Körper und den Geist erfüllt, klingt noch wie ein Echo in ihr nach, und alles in ihr verlangt danach, es wieder zu erleben.
Nach einer Woche hat sich Rolana entschieden und ruft die Eltern in den Salon. Nervös knetet sie ihre Hände und sucht nach dem letzten Hauch des göttlichen Gefühls in sich. Noch einmal wiederholt sie im Geist die Sätze, die sie sich sorgfältig zurechtgelegt hat.
»Nun, mein Kind, was gibt es so Wichtiges?«, fragt der Vater. Seine linke Augenbraue wandert ein Stück nach oben, als er seine Tochter aufmerksam ansieht. Rolana holt tief Luft.
»Ich habe beschlossen, Bertram nicht zu heiraten. Der heilige Solano sagt,
Weitere Kostenlose Bücher