Die Drachenlanze (Die Saga von den drei Königreichen) (German Edition)
Verführung offen in die Augen blickte. In der Tat hatte er im Laufe seines Lebens nicht viele Frauen gesehen, die es mit der Schönheit der Tochter Gunnars aufnehmen konnten. Sie trug ihr rotes, strahlendes Haar offen, ihre Sommersprossen verzierten die kecke Nase und ihr schlanker, langer Körper schien selbst dem Holzschemel, auf dem sie saß, eine besondere Würde zu verleihen. Er konnte sich so seinen Thron ohne Kampf zurückholen und musste nicht die Rache des unberechenbaren Thorgnyr fürchten. Nichts schien gegen diese Hochzeit zu sprechen.
Stikle stand auf, legte seine Hand an Ketills Ohr und flüsterte: „Die wollen uns reinlegen. Da kannst du noch mehr rau sholen mein Junge. Die Mitgift sollte mindestens zwanzig Unzen Silber betragen, außerdem…“ Ketill ließ seinen Vater nicht ausreden. Er trat vor, doch bevor er etwas sagen konnte, sprach der König der Drakinger wieder. „Ihr bekomm meine persönliche Leibwache bis nach Throndje, ein Drittel meines Goldes und ein zusätzliches Lehen in Drauhala. Was ist Ketill, was sagt Ihr?“
Sveia stand erwartungsvoll auf. Ketill konnte nicht anders. „Ich nehme Euer Angebot an, König Gunnar. Ich werde Eure Tochter Sveia freien.“
Sie klatschte in die Hände und wollte schon auf ihren zukünftigen Gatten zurennen, als die Stimme Innhilds, die ihren Namen rief, sie abhielt. Dennoch juchzte sie.
Ein eisiger Windzug ging durch den Saal. Eirik kam in die Stube, sein Oberkörper vo m Brennholz, das er trug, bedeckt. „Was ist denn hier los?“, fragte er. „Ketill hat mal wieder eine Dummheit begangen“, kommentierte Stikle, während Bjarhi in die Hände klatschte und eine Stimme aus der Milchkammer nölte: „Ich will meinen Brei.“
Gunnar strahlte. „Nun Stikle, dann sollten wir die Festlichkeiten besprechen.“ Erneut kam ein eis iger Wind durch die offene Tür. Sveia strahlte und rief aus: „Stilja. Du kommst wie gerufen.“ Innhild ließ ihren Kochlöffel fallen und hob die Hände. „Endlich, die beste Haushaltshilfe, die ich je hatte. Wo warst du, Kind? Aber du bist ja gar kein Kind mehr.“ Auch Gunnar freute sich. „Na so was. Da redet man von ihr und sie ist da.“
„Es scheint, als komme ich wie gerufen “, sagte eine helle Stimme, die Ketill von irgendwoher kannte. Als er sich umdrehte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Bevor er nachdenken konnte, rief er: „Linja…“
67. Das Loch in der Mauer
ie blassrosa Schnauze bewegte sich schnüffelnd auf und ab, wobei immer wieder die Schneidezähne der Ratte sichtbar wurden. Das Tier bewegte sich vorsichtig vorwärts, hin- und hergerissen zwischen der Entscheidung, entweder dem drängenden Hunger nachzugeben oder in die Sicherheit der Steinritzen zurückzukehren. Aber nach und nach siegte die Gier nach dem duftenden Stück Käse, das in der dunklen Ecke des Raumes ausgelegt worden war. „Komm nur, Ihnatio“, dachte Cyril, die bewegungslos auf dem kalten Steinboden lag und das zögerliche Vortasten des Nagers beobachtete. Ihr machte die Kälte in diesem Moment nichts aus, da sie fasziniert war vom inneren Kampf der Ratte und vom Ausgang ihres kleinen Experiments, aber innerlich verfluchte sie die selbstauferlegten Zwänge der Sonnenanbeter.
Was für ein elendes Leben, dachte Cyril. Ein Leben voller Entsagung und ohne Freude. Und das Schlimmste war, dass alle hier außer ihr dieses Leben freiwillig gewählt hatten. Sicher, es gab auch Nonnen, die hier waren, weil sie so der Armut entkommen konnten. Fasten ist besser als Hungern. Aber es gab genug Töchter aus gutem Hause, die ihr Leben der Sonne widmeten. Absurd, dachte Cyril. Die Sonne scheint auch, ohne dass wir sie anbeten.
Sie hatte sich mit ihrer Situation , so gut es ging, abgefunden. Es war nur eine Frage der Zeit bis sie hier weg war. Zumindest hoffte sie das. Und diese Zeit wollte sie nutzen. Die Oberin war immun gegen ihren weiblichen Charme, mit dem es ihr gelungen war, so vielen Männern den Kopf zu verdrehen. Also hatte sie nach Außen so getan, als ob sie sich fügen würde. Sie lächelte Mutter Maris an, während sie sich vorstellte, wie sie sie die naheliegenden Klippen herunterwerfen würde. Und sie saß in der Bibliothek mit gespieltem Ehrgeiz. Es war Cyril zuwider der mangelnden Tatkraft ihres zukünftigen Ehemanns ausgesetzt zu sein. Lieber wollte sie selbst zur Tat schreiten können. Wozu sollte man sich auf die Künste einer Markthexe verlassen, wenn man die Bibliothek von Aerhue zu seiner Verfügung hatte.
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