Die Drachenlanze (Die Saga von den drei Königreichen) (German Edition)
Es gab Bücher zu allen Themen und tagelang hatte Cyril Literatur über Kräutertinkturen, Heilmittel, Liebesmixturen und Schlafmittel gewälzt. Dummerweise schienen die Gelehrten der Kirche der Sonne tatsächlich nur das Wohl ihrer Mitmenschen im Sinne zu haben, so dass so einfache Dinge wie Gifte bisher nicht zu finden waren. Aber für Cyril war es schon interessant genug zu erfahren, welches Kraut, welcher Samen und welche Blüte welche Wirkung auf den Organismus eines Menschen haben konnte. Und oftmals wurde sie fündig, wenn vor der Überdosierung einer Mixtur gewarnt wurde. Die Bastkirsche, in kleinen Mengen eingenommen, konnte Kopfschmerzen und Migräne wohl ausgezeichnet beheben, doch ausdrücklich wurde davor gewarnt mehr als einen Tropfen der Essenz zu verabreichen, da sich sonst tödliche Lähmungen einstellen konnten.
Erfreut sah Cyril, dass die Ratte nun bis zum Käse gelaufen war und ihn in hektischen, schnellen Bewegungen versuchte in ihren kleinen Kiefer zu zwängen. Als sie es zwei - oder dreimal probiert hatte und sah, dass das Stück zu groß zum sofortigen Verzehr war, nahm die Ratte das Stück mit und verschwand flugs in einem der vielen Löcher im Gemäuer von Cyrils Kemenate. Sie waren intelligente Wesen, diese Ratten. Aber nicht so elegant, dass sie das geschmacksneutrale Gift, das Cyril auf den Käse geschmiert hatte, wahrnehmen würden. Zumindest war das diesmal nicht der Fall. Cyril war gespannt, ob die Menge an Traubwurzextrakt ausreichen würde, um das Tier zu töten.
Als sie das erste Mal ein Gift hatte ausprobieren wollen, war sie an der Schlauheit der Ratten, die vor allem nachts ihre Gemächer mit huschenden Geräuschen durchsuchten, gescheitert. Die Tiere rührten die Apfelstückchen, die sie mit Tollkirschtinktur eingerieben hatte, nicht an. Das nächste Mal hatte sie die Dosis verringert und die kleinen Stücke waren am nächsten Tag verschwunden gewesen. Erst dann war ihr klar geworden, dass sie niemals würde herausfinden können, ob das Gift gewirkt haben würde oder nicht. So war sie auf die Idee mit den Markierungen gekommen. Aus dem Schreibsaal hatte sie sich verschiedenfarbige Tinte geholt, die sie dann in kleine Schalen auf dem Boden ausgestellt hatte. Sobald dann eine der Ratten erneut in die Richtung des vergifteten Obsts gelaufen war und sich das Fell dann in der Tinte gefärbt hatte, hatte Cyril diese Ratte dann verscheucht und eine andere Farbe in die Schälchen gefüllt. So hatte sie nach und nach verschiedene Ratten mit verschiedenen Farbmarkierungen versehen und ihnen mit der Zeit Namen gegeben. Hugues war, da war sie sich sicher, mittlerweile verstorben. Ihn hatte sie schon seit drei Tagen nicht mehr gesehen. Nun war sie gespannt, wie es Ihnatio ergehen würde.
Noch während sie auf das schwarze Loch blickte, durch das das dem Tode geweihte Tier geschlüpft war, hörte sie, wie sich die Tür zu ihrer Kammer knarrend öffnete. Privatsphäre war eines der L uxusgüter, derer sich die Anhänger der Kirche der Sonne entsagt hatten. Eine hohle Stimme forderte sie auf, zur Mutter Oberin zu gehen. Anfangs hatte sie der brüske Ton der Mönche und Nonnen gestört, doch nun begegnete sie diesen Menschen nur noch mit Missachtung. Sie nahm sich Zeit bevor sie hinaus ging, dem Arkadenweg zum Hauptgebäude folgte und dort die vielen Treppen hinaufstieg, bevor sie an der Tür der Äbtissin klopfte. Zwar konnte man sie maßregeln, aber das würde Cyril nicht daran hindern zu zeigen, was sie von den Menschen hier hielt. Lächelnd trat sie vor Mutter Maris, deren Gesicht unter der weißen Haube aschfahl aussah. Mit durchdringendem Blick forderte diese ihren Gast nickend auf, sich zu setzen. Dann musterte sie die lächelnde Cathyll so eindringlich, dass dieser kalt wurde. Erst als sich die Mundwinkel ihres Gegenübers senkten, fing die Mutter Oberin an zu lächeln, als hätte sie einen Sieg errungen und wäre sich dessen bewusst.
„Ich hoffe, Ihr habt Euch hier gut eingelebt, Cyril Lloires.“ Cyril beschloss, der Äbtissin nicht den Triumph zu gönnen, sie leiden zu sehen und so schluckte sie die Beschwerden und Verbesserung svorschläge, die sie in ihrer kurzen Zeit hier angesammelt hatte, herunter.
„Mir gefällt es sehr gut hier, danke.“
„Das ist gut. Ihr werdet nämlich lange hier bei uns bleiben.“
„ Ein Jahr, ich weiß. Es ist zu schade, dass ich dann schon gehen muss.“ Cyril zwang sich zu einem offensichtlich übertriebenen Grinsen.
„Keine Sorge, Cyril.
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