Die Drachenlanze (Die Saga von den drei Königreichen) (German Edition)
benutzten diese hauptsächlich zum Überbringen von Nachrichten. Ein Geschichtenerzähler am Hof von König Olaf hatte ihm das einmal in einer Saga vorgetragen, aber Ketill, dem, wie jedem Norr, bekannt war, dass Sagas jahrhundertealte Erzählungen aus alten Zeiten waren, hatte nicht gewusst, dass die Wölfe der Skjelltäler immer noch Botschaften überbringen konnten. Die Wölfe konnten Strecken zurücklegen, für die ein Mensch Tage, ja Wochen brauchte und sie kamen immer genau dort an, wo sie ankommen sollten. Das einzige Problem war, dass sie sich an ihrem Zielort einfach niederließen und warteten, bis jemand kam, um ihnen die um den Hals gebundene Nachricht abzunehmen. Sie mussten also von den richtigen Menschen gefunden werden. Außerdem soll es, trotz des weißen Halsbandes, das die Wölfe vom Skjelltal trugen und an dem man sie erkennen konnte, schon vorgekommen sein, dass Männer sich Wölfen näherten, die gar keine Botenwölfe waren und von jenen zu Tode gebissen worden waren.
Ketill war das aber letztendlich egal. Er freute sich nur über die Aussicht, die nächsten Wochen nicht mehr unterwegs sein zu müssen. Er hob seinen Krug und rief: „Auf die Skjelltäler, Thorstein. Und auf Eure Gastfreundschaft.“
Der Jarl lachte laut auf und hob zusammen mit seiner Familie und einigen anderen Männern, die am Tisch saßen ebenfalls seinen Krug. „Auf dich, König Ketill.“
Man trank noch lange und noch viel und als Ketill in einem Bett lag, von dem er sich nicht mehr erinnerte, wie er dort hineingekommen war, schlief er mit einem w ohligen Gefühl ein, obwohl keine Bauerntochter neben ihm lag.
22. Böse Träume
ie meisten Zugänge waren abgesperrt worden, zugemauert oder mit Gittern versehen, obwohl es Cathyll das Herz gebrochen hatte, die heimliche Freude ihrer Jugend so beendet zu sehen. Wie gerne war sie die geheimen Gänge entlanggelaufen und hatte so die Burg von Mal Kallin auf eine für andere Menschen unzugängliche Art und Weise kennen gelernt. Nun war ihr Geheimnis preisgegeben und sie hatte das Gefühl, dass ihr durch das Zumauern der Geheimgänge auch die letzte Möglichkeit genommen worden war ihrem Leben als Königin zu entkommen und sich in Welten zu verlieren, in denen sie keine schwere Last auf ihren Schultern trug.
Immerhin: nur wenige Leute waren in die ganze Aktion eingeweiht worden: Bran, Arla, Ha ‘il und einige Maurer, die dafür sorgten, dass die Passagen undurchdringbar gemacht wurden. Die Maurer hatten sorgfältig und langsam gearbeitet und sie immer über den Stand der Dinge informiert, damit sie sich auch sicher fühlte. Außerdem wurde sie immer von Bran begleitet und meist auch zusätzlich von zwei Skiprits, die zu Arlas Hof gehörten. Die Königin der Wolfinger hatte ihr auch regelmäßig einen Trank gebraut, der sie beruhigte und vor bösen Geistern schützen sollte, den Agri’kri – oder wie die Norr sie nannten: Böln [xxi] . Obwohl sich Cathyll dafür schämte, dass sie die Stimme von Rabec regelmäßig gehört hatte, fühlte sie sich doch von Arla und Bran ernstgenommen. Bei Ha‘il Usur war sie da nicht so sicher, aber ihr Hofberater war so stoisch ruhig, dass es gar keinen Unterschied machte, was er dachte. Ha‘il schien nur seinen Auftrag zu kennen und das machte ihn zu so einem wertvollen Berater.
Nun saß sie in eine Decke gehüllt vor dem Kamin in der Bibliothek und ließ die Strapazen des Tages mit einem Versepos der Liebe von Frantio und Luella hinter sich. Es erinnerte sie ein wenig an ihre Liebe zu Ketill, die so schnell und unvermittelt geendet hatte, als sie ihn mit Cyril gesehen hatte. In den Versen eines unbekannten Dichters der Raemaci scheitert die Liebe an der selbstzerstörerischen Eifersucht Frantios.
„Doch wenig war zu sehen bereit
Ein vom Wahn besessener Geist,
der vor Verlangen elend schreit
und Missgunst gern Willkommen heißt.
Es sind die Stunden, Tage, Jahre Pein,
die Frantio sich im Zorn versinkt.
Bis ins Mark und sein Gebein
Er mit der alten Stimme ringt:
Vertrau ihr nicht , und höre zu.
Sie lacht dich aus, HAHA HUHU.“
Obwohl der Inhalt des Epos nicht gerade erhebend war, fühlte sich Cathyll angenehm abgelenkt von der Geschichte. Die Dramatik der Ereignisse ließ sie ihre eigenen Probleme vergessen.
„Jeder Vogel, jedes Tier,
schien nun dasselbe zu verkünden.
Luella, nein, sie ist nicht dir,
tut anderweitig sich versünden.
Sie narrt dich, treibt ein Possenspiel,
dem du nicht widerstehen kannst.
Sie folgt doch
Weitere Kostenlose Bücher