Die Drachenperle (German Edition)
Drachen. Es klang ein wenig wie der Donner eines Sommergewitters.
Seine goldenen Augen blickten ernst. Langsam, ohne den Erdboden allzu sehr zu erschüttern, ließ er sich bequem nieder und legte sorgsam seine Flügel an. Seinen zackenbewehrten Schwanz rollte er ein und schnaubte kurz durch seine Nüstern, bevor er weitersprach.
„Und wieder bist du auf der Suche, Erlöser. Nur dass du diesmal dich selbst erlösen willst, nicht wahr?“
„Ja, Ehrwürdiger.“ Taiki senkte bekümmert sein Haupt. „Ich bin meiner Gabe nicht wert.“
Unendlich vorsichtig hob der Drache mit einer Klaue seiner breiten Pranke Taikis Kinn an, bis er ihm in die Augen schaute. Seelenruhiges Gold versenkte sich tief in tränenschimmerndes Grün. Wortlos übermittelte das Urwesen ihm eine Botschaft. Wenige Sekunden nur, in denen aber eine Ewigkeit an Drachenseelenleben verborgen war. Taiki fühlte sich in diesem Blick unendlich geborgen und angenommen. Seine Scham, all seine Verzweiflung über ihn selbst, alles was ihn quälte, löste sich auf und wurde zu nicht mehr als einer Erinnerung, zu einer Erfahrung, aus der er gelernt hatte.
„All das vergiss bitte nie, mein lieber kleiner Mensch. Und nun nimm an dich, was Mellon so treu bewahrt hat.“
Der blaupelzige Hüter trat watschelnd hervor, zerrte an der bunt gewebten Tasche. Eine apfelgroße, schimmernde Perle kullerte heraus. Taiki ergriff sie, hob sie auf Augenhöhe und sprach feierlich einen Schwur:
„Von heute an werde ich die Perle der Weisheit immer bei mir tragen und in größten Ehren halten. Dir Mellon, du treuer Freund, gilt mein Dank bis zu meinem letzten Atemzug.“
Die Eselente verneigte sich vor Taiki mit leisen, niedlichen Quietschtönen, so würdevoll, wie sie es vermochte.
„Die Perle wird dir fortan so nahe sein wie nur denkbarmöglich“ sagte eine helle Stimme. Hinter dem Drachen hervor trat Issyrle. Ihr folgten Darorah und Madox. Seltsames geschah nun. Alle drei wurden langsam durchsichtig und begannen, auf die Perle zuzuschweben.
„Ich bin deine Neugier aufs Leben, deine Herzlichkeit, dein Frohsinn!“
Issyrle sprach dies und wurde zu einem Lichtwirbel, der zusammenschnurrte und in die Perle floss.
„Ich bin deine Fähigkeit zu heilen, deine Intuition und deine Sanftmut.“
Darorah floss in die Perle ein. Dann folgte Madox, der Taikis Beharrlichkeit, Tiefgründigkeit und Intelligenz verkörperte. Atemlos und staunend sah Taiki dem Geschehen zu. Etwas Heiliges geschah hier! Als nächstes schwebte der kleine Mellon auf Taiki zu. Auch er verwandelte sich und zum ersten und letzten Mal sprach er in Worten:
„Ich bin deine Fähigkeit zu bedingungsloser Freundschaft und Treue.“
„Auch ich gehe in die Perle der Weisheit ein. Ich, das Irrlicht, bin deine innere Stärke, deine Fähigkeit über dich selber hinauswachsen zu können, ich bin dein Licht in der Dunkelheit.“
Mit einem Duftschwall und großem Gefunkel verschwand Kimkimdraorkim in der Perle. Als wäre dies alles nicht schon Wunder genug, so erwärmte sich die Luft und aus Winter wurde Sommer. Wieder verdunkelte ein Schatten den Raum über der Lichtung, wieder ertönte das Geräusch von schlagenden Flügeln. Der lichterloh brennende Phönix schwebte heran und sprach:
„Ich bin deine Leidenschaft, dein Lebenswille, deine Hingabe an die Schöpfung und ihre Geschöpfe.“
Auch er löste sich schimmernd auf um im nächsten Moment Teil der Perle zu sein. Er brachte eine gewaltige Menge an Energie mit. Taiki zitterte am ganzen Körper. Er wurde von seinen Gefühlen überwältigt. Josayah trat näher und legte fest seinen Arm und Taikis Schultern.
„Und ich, ich bin dein Potential an Weisheit! Ich bin der Teil von dir, der alles im Inneren zusammenhält, der dich lenkt und lernen lässt, der dich vor Eindringlingen schützt.“
Der Drache wurde zu einem Wirbel aus Smaragdgrün und Violett, goldene Funken sprühten und all dies senkte sich ebenfalls in die Perle hinein. Dann wurde es ganz still. Der Wald hielt den Atem an. Ein Moment der Zeitlosigkeit breitete sich sanft über das Land aus. Die Perle begann nun ihrerseits zu schweben, sie vibrierte und dann! Dann schoss sie auf Taiki zu und versenkte sich in seiner Brust, wurde für immer Teil von Taiki, verschmolz mit ihm. Er taumelte vor lauter Ekstase und brach dann in Josayahs Armen zusammen. Der Wald löste sich auf in ein traumhaftes Gemenge aus Licht, Duft und
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