Die Drachenreiter von Pern 14 - Drachenauge
einen zweiten Campus – war das der richtige Ausdruck? – an der Ostküste zu gründen. Aber da eine fünfzigjährige Periode des Fädenfalls bevorstand, musste man sämtliche Pläne auf dieses Ereignis abstimmen und Reisende informieren, wie sie sich vor dem tödlichen Zeug schützen konnten. Als der Projektor noch funktionierte, hatte er Dokumentationen von Fädenschauern gesehen. Ein Schauder durchlief ihn. Obwohl er sein Leben lang auf diese Katastrophe vorbereitet worden war, grauste ihm immer noch vor der tatsächlichen Bedrohung. Und bald wäre es soweit!
Zwar brüsteten sich die Weyrführer damit, wie gut vorbereitet sie seien, was die Drachen zu leisten vermochten und dass Bodencrews aufs schärfste gedrillt würden, doch keiner wusste aus eigener Erfahrung, was ihnen bevorstand. Im Stillen fluchend begab er sich zu den Zimmern, die noch fertiggestellt werden mussten, weil demnächst ihre Bewohner eintrafen. Während seiner Mittagspause würde er dann die Lehrpläne ausarbeiten müssen.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke. So verblüfft war er, dass er abrupt stehenblieb, einen Fuß in der Luft erhoben. Was sie wirklich brauchten, war ein völlig neues Unterrichtskonzept für Pern.
Welchen Sinn hatte es, Studenten Dinge beizubringen, für die es keine praktischen Anwendungen mehr gab? Wie zum Beispiel Computerprogrammierung und Elektronik? Was nützte es den Jungen und Mädchen von Pern, wenn sie die geographischen und politischen Verhältnisse auf der Erde kannten? Es war Informationsmüll, nutzloser Ballast! Keiner von ihnen würde je nach Terra gelangen. Dieses Wissen hatte keinerlei Bezug zu ihrem Leben.
Neue Lehrinhalte mussten definiert werden, sie mussten sich Wissen aneignen, das speziell auf Pern zugeschnitten war. Denn an diesen und keinen anderen Planeten waren sie fest und unwiderruflich gebunden.
Was hatten sie davon, wenn sie die Gründe für den Krieg im Weltall gegen die Nathi kannten? An Raumfahrt war nicht im Entferntesten zu denken. Selbst die Drachen konnten lediglich begrenzte Höhen erreichen, dann litten sie unter Sauerstoffmangel.
Den Pernesern oblag es, sich mit ihrer eigenen Welt zu beschäftigen, die Belange der alten Erde und ihrer Kolonien durften sie getrost vergessen. Sie sollten sich lieber mit der Perneser Verfassung beschäftigen und inwieweit deren Gesetze ihre derzeitige Gesellschaft betrafen, anstatt prähistorische Regierungsformen zu studieren.
Nun ja, ein paar relevante Fakten konnte man übernehmen, um zu zeigen, wie sich ihr gegenwärtiges System entwickelt hatte. Doch der Lehrplan war überladen mit Trivialitäten – kein Wunder, dass die Lehrer mit dem Unterrichtsstoff nicht durchkamen. Kein Wunder, dass sich die Studenten langweilten. Nur wenig von dem, was sie lernten, hatte einen tatsächlichen Bezug zu ihrem Alltagsleben und ihrer ureigensten Erfahrungswelt.
Der Geschichtsunterricht sollte mit der Landung der ersten Kolonisten auf Pern beginnen … na ja, ein flüchtiger Streifzug durch die stammesgeschichtliche Entwicklung des Homo sapiens konnte sicherlich nicht schaden, doch es gab keinen Grund, sich intensiv mit den Aliens zu befassen, die die Erdbevölkerung auf ihren Forschungsmissionen durchs All entdeckt hatte, da ohnehin kaum eine Chance bestand, diese Extraterrestrier irgendwann einmal kennen zu lernen.
Außerdem, fand Clisser, der sich immer mehr für seine Idee erwärmte, müssen wir spezielle Fertigkeiten fördern. Tiermedizin und Landwirtschaft sollten prestigemäßig auf derselben Stufe stehen wie Computerwissenschaften. Das Züchten von Tieren und deren Behandlung bei Parasitenbefall war schließlich wichtiger, als zu wissen, welche Krankheiten die irdische Fauna heimgesucht hatten.
Die Bergbauingenieure und Metallurgen konnten sich anhand von Luftbildaufnahmen über Erzlagerstätten informieren. Anstatt Kunstgeschichte zu unterrichten, sollte man den Studenten beibringen, wie sie mit den auf Pern vorkommenden Materialien und Motiven etwas Neues schufen, obendrein waren die Dias mit den irdischen Kunstwerken schon lange nicht mehr zu gebrauchen. Die seefahrenden und Fischerei treibenden Berufe mussten sich mit den Eigenheiten der Großen Strömungen auskennen, die heimische Ozeanografie beherrschen, über nautische, klimatologische und astronomische Kenntnisse verfügen. Vielleicht wäre es das Beste, die verschiedenen Disziplinen aufzuteilen, so dass jeder Student sich mit dem speziellen Thema befasste, das er zur Ausübung seines
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