Die Drachenreiter von Pern 14 - Drachenauge
dem Tod ihrer leiblichen Mutter waren ideelle Werte total verkümmert.
Sie hatte nach etwas ganz anderem gesucht, als sie den ausdrücklich an sie gerichteten Brief entdeckte. Wann er abgegeben wurde, konnte sie nicht entdecken, da ein Datum fehlte, doch das Papier war so eselsohrig, dass der Bote womöglich bereits vor Wochen da gewesen war.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich Debera damit abgefunden, mit Ganmar ein Bündnis einzugehen. Es erschien ihr immer noch besser, als ständig bei ihrem Vater zu wohnen. Sie wusste, dass sie in ihrem neuen Heim genauso schwer würde schuften müssen, wenn nicht gar noch schwerer, da die zu gründende Wohnanlage erst aus dem Felsen der Erzmine herausgehauen werden musste. Doch später wäre dies ihr eigenes Zuhause – und das von Ganmar –, das sie sich nach eigenen Wünschen gestalten konnte. Nicht, dass sie auch nur einen Moment lang ernsthaft daran glaubte, Ganmar oder Boris würden die blumigen Versprechen, mit denen sie sie lockten, in die Tat umsetzen. Alles, was die beiden Männer wollten, war eine kräftige junge Frau, die von Kind an ans Malochen gewöhnt war.
Allerdings hatte sie tags zuvor scharenweise Drachen am Himmel gesehen, von denen die meisten Passagiere beförderten. Burg Balan war nicht weit vom Telgar-Weyr entfernt, selbst wenn man über Land reiste. Deshalb fasste sie ihren Plan, sowie sie das Schreiben gelesen hatte, ohne auch nur eine Sekunde lang zu zögern. Man hatte sie gesucht! Ihr stand das Recht zu, bei der Gegenüberstellung anwesend zu sein. Egal, wie sich das Leben im Weyr abspielte, schlimmer als ihre derzeitige Existenz konnte es kaum sein. Und wenn sie gar zur Drachenreiterin avancierte … Sie hatte den Zettel in eine Tasche gestopft und die Schublade zugeknallt. Zum Glück war sie allein in der Küche, und die Sonne strömte durch die Fensterschlitze, wie um Licht und Klarheit in ihre Gedanken zu bringen. Sie ging nicht einmal mehr in das Zimmer zurück, das sie mit drei ihrer Halbschwestern teilte. Stattdessen schnappte sie sich ihre Jacke und hetzte zur Koppel, auf der die Reitpferde weideten. Im Hof hielt sich niemand auf, alle waren bei der Arbeit. Beim Frühstück waren die verschiedenen Aufgaben verteilt worden, und ehe sich ihr Vater nicht davon überzeugt hatte, dass sämtliche Pflichten erfüllt waren, gab es kein Mittagessen.
Sie wagte es nicht einmal, sich Sattel und Zügel aus der Scheune zu holen, weil ihre ältesten Brüder dort dabei waren, das Heu neu aufzuschichten – beim ersten Mal hatten sie schludrige Arbeit geleistet. Lediglich einen Strick nahm sie mit. Da sie sich im Umgang mit Pferden bestens auskannte, würde es ihr keine Schwierigkeiten bereiten, ein Tier bloß mit dem Strickhalfter zu lenken.
Bilwil war von allen Rössern das Schnellste. Bis zum Mittagsmahl, wenn man ihr Verschwinden bemerken würde, blieben ihr noch ungefähr drei Stunden. Doch bis dahin hätte sie den größten Teil der Wegstrecke zum Weyr hinter sich.
Mit einem Blick über die Schulter – um zu prüfen, ob jemand sie beobachtete – marschierte Debera forschen Schrittes auf die Koppel, als hätte man sie zu einer Besorgung losgeschickt. Bilwil stand unweit des Zauns, den sie überkletterte – das Tor befand sich zu nah beim Gemüsegarten, wo zwei ihrer Halbschwestern Unkraut jäteten. Die falschen Luder taten nichts lieber, als Debera wegen ihrer ›Bummelei‹ bei ihrer Mutter oder dem Vater zu verpetzen.
Zwei Brüder fuhrwerkten in der Scheune herum, zwei weitere schlugen zusammen mit dem Vater im Wald Holz, und Gisa beschäftigte sich in der Käserei. Debera war gerade dabei gewesen, mit einer Handmühle Mehl zu mahlen, als der Splint brach. Aus diesem Grund hatte sie in der Schublade herumgewühlt, weil sie nach einem Nagel oder Stift suchte, um den Splint zu ersetzen.
Gisa würde sie so schnell nicht vermissen, da sie annehmen musste, sie sei immer noch bei ihrer Arbeit. Außerdem war ihr sicher nicht daran gelegen, sie abzulösen, denn Mehl mahlen war eine Schinderei, und die schwangere Gisa hatte gewiss keine Lust, den schweren Mühlstein zu drehen.
Bilwil wieherte leise, als sie sich ihm näherte und nach seiner Stirnlocke griff. Keiner hatte sich die Mühe gegeben, ihn am vergangenen Abend zu striegeln, und an seinem Fell klebte immer noch der Schweiß, den er tags zuvor beim Langholzfahren reichlich vergossen hatte. Vielleicht sollte sie sich doch lieber für ein anderes Reittier entscheiden. Doch schon senkte Bilwil den
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