Die Drachenreiter von Pern 14 - Drachenauge
das Jemmy ›Drachenliebe‹ getauft hatte, beendet war, schloss die Ballade über die Pflichten an. Den Höhepunkt bildete der Sopranteil, gesungen von seiner Ehefrau Sydra, weil sie keine geeignete helle Knabenstimme gefunden hatten. Auf Sheledons Zeichen hin setzte Bethany mit einem Flötensolo ein, dann erhob sich Sydra, um die einleitenden Verse zu singen.
Gewiss, es fehlte ihnen an genügend ausgebildeten Stimmen, um das Potential der Ballade voll auszuschöpfen – im Geist ›hörte‹ Sheledon, wie ein ›richtiger‹ Chor klingen würde –, doch die ausgezeichnete Akustik in der Kaverne unterstützte die Vorstellungen. Und die Musik ging den Zuhörern offensichtlich unter die Haut. Sydra gelang es, einen jugendlichen, ehrfürchtigen Ton anzuschlagen. Gollagee, der Tenor, interpretierte den Drachenreiter, Sheledon fiel mit seinem Bariton ein, Bethany ließ ihre wunderbare Altstimme erklingen, und den Chor bildeten die Musiker.
Als die Ballade beendet war, herrschte sekundenlang totale Stille – dann sprangen die Leute von ihren Sitzen, klatschten wie wild in die Hände, stampften mit den Füßen auf den Boden und ergingen sich in Bravorufen. Selbst die Drachen spendeten von draußen Beifall, angesteckt von den Begeisterungsstürmen ihrer Reiter. Unter pausenlosen Verbeugungen winkte Sydra den Musikanten zu, sie mögen aufstehen und die Ehrung entgegennehmen. Sogar Bethany erhob sich, während ihr Tränen der Freude über die Wangen perlten.
Fünf Mal wiederholten sie die Ballade – wobei die Zuhörer rasch Text und Melodie aufschnappten und mitsangen. Als Sheledon eine sechste Zugabe ablehnte, verlangte man nach dem Lied ›Drachenliebe‹, das so hervorragend zum Anlass des Festes passte.
Alles in allem, fand Sheledon, in Sydras strahlendes Gesicht blickend, war es eine höchst gelungene Vorstellung. Jemmy hatte sich wieder einmal selbst übertroffen, und Clisser würde entzückt sein. Vielleicht hatte Clisser doch Recht mit seinem Vorschlag, das Bildungssystem abzuspecken und neu zu definieren, damit man unnötigen Lehrstoff vermeiden und sich auf die wirklich bedeutsamen Dinge des Lebens auf Pern konzentrieren konnte.
KAPITEL 4
Der Telgar-Weyr und das Kollegium
Tulaya bemerkte als erste Deberas wachsende Nervosität. »Lauf ruhig zu deiner Morath zurück, liebes Kind. Du bist sicher erschöpft, und du brauchst deinen Schlaf.«
»Danke … äh …«
»Im Weyr legen wir keinen Wert darauf, mit unserem Titel angeredet zu werden«, half Zulaya ihr aus der Klemme. »Und nun geh. Ich erteile dir die Erlaubnis, falls du höflicherweise darauf gewartet hast.«
Debera murmelte ein Dankeschön und stand auf, um sich so unauffällig wie möglich aus der Kaverne zu stehlen. Sie kam nicht umhin, sich linkisch und undankbar zu fühlen, wo doch alle, selbst der Burgherr und seine Burgherrin, sich so rührend um sie gekümmert hatten.
Anfangs hatte sie befürchtet, sie würden von ihr eine Erklärung für ihr ungewöhnliches Verhalten verlangen, stattdessen hatte man ihr ohne viel Umstände Beistand gewährt. Fast war es so, als habe sie seit dem zwingenden Blick in Moraths Augen erst richtig angefangen zu leben.
Während sie die Höhlenwand entlang pirschte, die Lider gesenkt, damit niemand mit ihr Blickkontakt aufnehmen konnte, gelangte sie zu dem Schluss, dass der heutige Tag wirklich den Beginn eines völlig neuen Lebens markierte. Überall, wohin sie schaute, sah sie nur lächelnde Gesichter und tadellose Manieren. Bis jetzt hatte sie noch nichts von dem liederlichen und sittenlosen Betragen bemerkt, dem die Weyrleute nach der festen Überzeugung ihres Vaters frönten.
Aber er hatte ihr so vieles erzählt. Dafür andere Dinge unterschlagen. Wie die Tatsache, dass vom Weyr ein offizielles Schreiben eingegangen war, in dem man sie aufforderte, sich an einem bestimmten Tag zur Gegenüberstellungszeremonie bei den Drachenreitern einzufinden. Durch Zufall hatte sie den Wisch entdeckt, in dem Schrank, in dem man allerhand Zeug aufbewahrte, das sich vielleicht noch einmal verwenden ließ.
Niemand in Burg Balan, und ganz besonders nicht ihr Vater und ihre Stiefmutter, Gisa, hätten ein Blatt Papier weggeworfen, das auf einer Seite unbeschrieben war. Wie sie diese Pfennigfuchserei hasste! Nur nichts verschwenden, nur nichts ausgeben, jeden Krempel horten! Dieses Motto dominierte jeden Aspekt des Lebens in der Burg. Nicht, dass man arm gewesen wäre; an materiellem Wohlstand herrschte kein Mangel, doch seit
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