Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
Wände, die es umgeben“, dachte der Wolf, „ragen senkrecht nach oben auf. Eine steile Klippe führt mindestens zweitausend Meter nach unten. Soweit ich weiß, gibt es keinen Pfad, der nach unten führt, und ganz sicher gibt es keinen Weg heraus. Wenn wir zu den Sturmbergen gelangen wollen, müssen wir es komplett umgehen.“
„Die Strömung hier ist sehr stark“, dachte Joshua. Er konnte sehen, wie sich das Wasser mit rasender Geschwindigkeit auf die Klippe zubewegte und von dort ins Nichts fiel.
„Wenn wir über die Klippe fallen, sterben wir.“ Graus sachliche Art war auf seltsame Weise beruhigend.
Wie auf Kommando begann es zu regnen. Joshua war unfassbar müde. Die Kälte ließ ihn schaudern und der Gedanke daran, das stürmische Wasser durchqueren zu müssen, war beinahe lähmend.
„Tun wir's“, dachte er zu den beiden anderen. „Krieg, falls ich von deinem Rücken herunterrutsche, möchte ich, dass ihr beide versucht, auf die andere Seite zu kommen. Macht euch keine Sorgen um mich.“ Er versuchte, sehr viel stärker und energischer zu klingen, als er war. Grau und Krieg wechselten nur einen Blick, als wollten sie sagen: „Na klar, wir lassen dich in den sicheren Tod stürzen, während wir uns selbst retten. So läuft das nicht!“
Joshua stand auf und versuchte, so viel Wasser wie möglich aus seinen Federn zu schütteln. Seine Flügel fühlten sich an, als wären sie in Blei getaucht worden. Er konnte kaum laufen, doch als sich das Pferd auf seine Vorderbeine herunterließ und sich hinlegte, kletterte er auf seinen riesigen Rücken.
„Wir schaffen das“, dachte Krieg zu ihm.
„Ich hoffe, du hast recht“, gab Joshua zurück. Er war nicht überzeugt.
„Dass du deiner eigenen Kraft nicht traust, bedeutet nicht, dass ich keine mehr übrig habe. Es bedeutet genausowenig, dass du meiner Kraft nicht trauen kannst“, antwortete das Pferd.
„Darüber lässt sich schlecht streiten“, dachte Joshua mehr zu sich als zu den anderen.
Das Pferd stand auf und ging hinüber zum Ufer der kleinen Insel. Der Wolf stand neben ihnen. Die andere Seite war mindestens dreißig Meter entfernt und es war nicht viel Platz für Fehler. Es war nicht einmal der Gedanke an den Tod, der Joshua am meisten bestürzte. Ihm graute viel mehr davor, einfach in eine unermesslich tiefe Schlucht zu stürzen, die sie alle verschlucken und dann dem Vergessen anheimfallen lassen würde.
Bevor er noch länger zögern konnte, stieg Krieg ins Wasser und wurde sofort von der Strömung gepackt. Grau, der sich weiter stromaufwärts befand, sprang ebenfalls hinein. Die Strömung war noch stärker, als sie erwartet hatten.
Was nun folgte, zählte zu den schlimmsten Qualen, die Joshua jemals durchlebt hatte. Einer der Gründe dafür war, dass er keinerlei Kontrolle besaß – nicht über die Strömung und auch nicht über Kriegs Bewegungen in dem tosenden Wasser. Mehrere Male wurde er überspült und konnte sich kaum an Kriegs Mähne festhalten. Zu langsam kamen sie voran. Die Klippe schien viel schneller näher zu kommen als die andere Seite. Grau wurde gegen Krieg gedrückt, der schwerer war und langsamer trieb als der Wolf. Irgendwann dachte Joshua, dass das Pferd umkippen würde, doch Krieg schaffte es, aufrecht zu bleiben.
Als er plötzlich begriff, dass sie es nicht rechtzeitig hinüberschaffen würden, breitete sich Panik in ihm aus. Es war zu weit. Er sah sich und die anderen schon über die Klippe stürzen und in der Dunkelheit verschwinden. Er merkte auch, dass sein Gewicht, obwohl er nicht viel wog, eine zusätzliche Belastung für Krieg darstellte, der sowieso schon kämpfte, um nicht von der Strömung mitgerissen zu werden.
„Ich glaube nicht, dass wir es so schaffen“, dachte Joshua. „Ich versuche, rüberzufliegen!“
„Nein!“ Kriegs Gedanke ließ keinen Widerspruch zu. „Bleib, wo du bist!“
Als sie sich mit hoher Geschwindigkeit auf die unausweichliche Klippe zubewegten, fand Joshua sich plötzlich zurück im Stall, an die anderen Hühner gekuschelt, um warm zu bleiben, nicht richtig wach, aber auch nicht ganz schlafend. Dort war es behaglich und warm. Ein Teil von ihm wollte einfach in seinen Gedanken dorthin zurückkehren und dort bleiben, sich daran festhalten, bis der Sturz über die Klippe ihn schließlich töten würde. Es würde nicht so wehtun, dachte er. Gleite einfach davon. Lass diesen gequälten Körper gehen und–
„Joshua!“ Der Wolf stand mitten in seinen Gedanken, die Zähne
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