Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
entblößt. Joshuas Gedanken wurden von der Klippe zurückgezogen. Er spürte die Panik des Pferdes unter seinen Krallen. Er sah Grau um sein Leben kämpfen. Der Gedanke an seine eigene Hilflosigkeit überwältigte ihn und drängte die Todesangst zurück.
„Nein!“, dachte er. „Es muss irgendetwas geben, das ich tun kann.“ Und damit stieß er sich von dem Pferderücken ab, flatterte hoch in die Luft und flog auf die andere Seite zu. Er wusste, dass er es wahrscheinlich nicht schaffen würde, aber vielleicht hatte das Pferd ohne sein Gewicht auf dem Rücken eine Chance, sich auf die sichere Seite zu kämpfen. Er stieg ungefähr drei Meter hinauf und einen Augenblick lang konnte er über den Abgrund sehen. Doch dort war alles schwarz. Beinahe im gleichen Moment verließ ihn seine Kraft und seine gepeinigten Muskeln schienen einfach nicht mehr auf sein Flugkommando zu reagieren. Er fiel und plumpste ins Wasser, die Strömung nahm ihn sofort auf und trug ihn auf die Klippe zu. Krieg und Grau versuchten nicht mehr, zum Ufer zu gelangen, sondern schwammen auf ihn zu. Während sein Körper herumgewirbelt wurde und er jede Orientierung verlor, erinnerte er sich plötzlich an einen schmalen Pfad, den er gesehen hatte, direkt neben dem Wasserfall. Groß genug für ein Pferd.
„Wenn ihr über die Klippe stürzt, versucht, nach rechts zu springen! Dort ist ein Pfad!“, schrie er in seinen Gedanken, unsicher, ob die anderen ihn überhaupt hören konnten. Dann spürte er scharfe Felsen unter seinen Krallen und einen Stoß von der Seite. Damit wurde er aus dem Wasser heraus und in die Nacht hinauskatapultiert. Einen Moment lang dachte er, er falle ins Nichts, doch Sekunden später landete er auf felsigem Untergrund, taumelte einige Schritte, schlug hin und blieb liegen. Für den Bruchteil einer Sekunde verlor er das Bewusstsein und erlangte es wieder, nur um immer wieder erneut ohnmächtig zu werden. Tiefe Dunkelheit wechselte sich ab mit verschwommenen Bildern des Wolfs und des Pferdes, die über ihm standen und von denen das Wasser in Sturzbächen herunterlief.
„Wir sind in Sicherheit“, hörte er Grau in seinen Gedanken. Und als er es hörte, wusste er, dass es wahr war. Er fiel in einen tiefen Schlaf, in dem er von einer großen Höhle träumte und von drei Federn auf einem schwarz polierten Stein und von drei Gefährten und dem, was sie verband.
* * *
Als Joshua am nächsten Morgen an den Bauch des Wolfs gekuschelt erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel. Sein ganzer Körper schmerzte, als er versuchte, seine Flügel zu bewegen. Krieg suchte einige Meter entfernt auf dem felsigen Boden nach Gras. Seine ganze Seite war mit Schürfwunden übersät.
„Bist du verletzt?“, fragte er.
„Ich werd's überleben. Nichts Schlimmes. Ich bin froh, dass ich nur die Schürfwunden habe. Als ich an den Steinen hängen geblieben bin, hat sich mein Sturz so weit abgebremst, dass ich springen konnte.“
„Wie sind wir...? Ich kann mich an nichts erinnern.“ Joshua versuchte, sein Gleichgewicht zu finden. Er sah immer noch alles verschwommen.
„Wir haben es gerade noch so geschafft“, dachte Grau zu beiden. „Ich bin froh, dass du lebst. Eine Weile waren wir uns nicht sicher, ob du es schaffst.“
Es gab keinen Anlass, etwas noch einmal durchzuspielen, an das Joshua sich nicht erinnern konnte, also ging er dem nicht weiter nach. Als er um den Wolf herumging, sah er, dass Graus Pelz ebenfalls blutig war.
„Wir sind ziemlich angeschlagen“, dachte er.
Der Wolf lächelte in Gedanken. „Ja, das sind wir.“
„Bist du nicht froh, dass du mich vor dem Fuchs gerettet hast?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich um und hatte nun einen kompletten Überblick über den Ort, an dem sie sich befanden. Zu ihrer Linken verschwand der Wasserfall im Abgrund. Zu ihrer Rechten wand sich ein Pfad durch den Fels und in die Klippe hinein. Der Pfad führte weg von dem Plateau, auf dem sie standen. Wie weit er ging, konnte Joshua nicht sehen, doch es schien, als führte er leicht abwärts. Das konnte aber auch eine optische Täuschung sein, denn die gewaltige Felswand, die im Nebel unter ihnen verschwand, war in der Ferne gekrümmt und es sah so aus, als ob sie einen riesigen Kreis bildete, der auf der anderen Seite des Wasserfalls neben ihnen endete.
„Was nun?“, fragte Joshua. „Wir können nicht zurück. Und da hinunter können wir auch nicht.“
„Uns bleibt nur eins übrig: Diesem Pfad vor uns
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