Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
anderer Teil wünschte, er wäre noch irgendwo am Leben, doch diese Möglichkeit schien im Moment vollkommen undenkbar zu sein.
Es war seltsam, an der gewaltigen Felswand entlangzufliegen, die sich von der Oberfläche weit oben bis zum Boden über zweitausend Meter erstreckte. Der Felsen war glatt und wies kaum Risse oder Einlagerungen auf. Von hier aus konnte Joshua erkennen, dass sich die Klippen in beide Richtungen ausbreiteten und sich weit in der Ferne zu einem perfekten Kreis trafen. Das bloße Ausmaß war überwältigend. Er konnte sich der Ahnung nicht erwehren, dass die kreisrunde Form kein natürliches Phänomen darstellte und dass dieser Ort tatsächlich geschaffen worden war, geformt von etwas, das den Gesetzen der Natur nicht gehorchte – eine Kraft, die mächtiger war als alles, was er sich vorstellen konnte.
Schließlich landete er. Dort, wo die Felswand den Boden berührte, beschrieb dieser einen sanften Bogen nach oben, bis er am Stein angekommen war. Es war, als wäre die Erde hier zur Klippe hin mindestens fünfzehn Meter nach oben geschoben worden. Als er sich aufgerappelt hatte, beschloss Joshua, eine Weile die Wand entlangzulaufen, um seinen Freund zu suchen – entgegen seiner heimlichen Hoffnung, ihn nicht zu finden.
Als er an der gewaltigen Klippe entlangging, fühlte er sich immer kleiner und kleiner, beinahe bedeutungslos, als ob alles, was er je getan hatte und alles, was er war, am Ende auf nichts hinauslief. So schnell er neue Freunde gewonnen hatte, so schnell hatte er sie auch wieder verloren. Er befand sich auf dem Grund einer Schlucht, ohne Hoffnung, jemals wieder an die Oberfläche zu gelangen. Und selbst wenn er es schaffen sollte, was dann? Leere breitete sich in ihm aus und er konnte sich nicht erinnern, sich jemals so allein gefühlt zu haben. Er lief stundenlang und verlor jegliches Zeitgefühl, seine Gedanken gefangen in einer endlosen Spirale der Hoffnungslosigkeit, aus der es kein Entkommen gab. Das war der Grund, warum er es zunächst nicht hörte.
So versunken war er in seiner eigenen Welt, dass er eine Weile brauchte, bevor der Schrei des Adlers ihn erreichte. Er nahm ihn erst wahr, als er ein zweites Geräusch hörte: das Heulen eines Wolfes. Es konnte nicht sehr weit entfernt sein. Zuerst klang es unheimlich, doch dann, noch bevor seine Augen sie sehen konnten, sah er sie in seinen Gedanken. Und mit dem Bild kam der Klang eines Lachens. Es war ein Lachen, das die frohe Erkenntnis in sich barg, dass der Wolf am Leben war, und Joshua konnte nicht anders, als einen Luftsprung zu machen und die letzte Entfernung zu fliegen, bevor er um einen großen Felsen bog und sie sah.
Wolf und Adler saßen nebeneinander auf einem moosbedeckten Felsen. Der Adler war beeindruckend, fast genauso groß wie der Wolf. Graus Freudengeheul hätte Joshua unter anderen Umständen das Blut in den Adern gefrieren lassen. Der Adler stieß lange Schreie aus und durch die Stimmen der Tiere konnte Joshua ihr Lachen in seinen Gedanken hören. Perplex und ungläubig betrachtete er die beiden. Dann konnte er nicht anders, als einzustimmen. Er lachte lang und heftig und die Freude darüber, seinen Gefährten gesund und munter wiedergefunden zu haben, überwältigte ihn, und er lachte, bis er zu Boden sank.
„Die Kunde von dem roten Hahn und seinen Gefährten, die nach der Höhle der Träume suchen, haben uns in der Tiefe erreicht.“ Die Gedanken des Adlers drangen in Joshuas Seele und einen Moment lang hatte er das Gefühl, er würde hoch in den Himmel gehoben und segelte dort umher.
„Ihr habt von uns gehört?“
„Ja, wir wissen über euch Bescheid. Manchmal werden Legenden weitergetragen, noch während sie entstehen“, antwortete der Adler. „Zu meinen Lebzeiten hat noch niemand nach der Höhle der Träume gesucht und auch davor lange nicht. Die Befreiung des Pegasus hat endlos viele Möglichkeiten eröffnet, die zuvor nicht existiert haben. Aber seid wachsam. Hier sind Kräfte am Werk, mein roter Freund, die euch davon abhalten wollen, jemals euer Ziel zu erreichen, und es gibt Mächte hier und im Inneren des Berges, die alles tun werden, was nötig ist, um das vor dir zu verbergen, wonach du suchst.“
„Also ist es wahr?“ Seine Frage überraschte Joshua selbst. Hatte er nicht daran geglaubt, dass sein Traum wahr sein könnte? Wenn er darüber nachdachte, musste er zugeben, dass er tatsächlich schon eine Weile nicht mehr wirklich an seine Träume geglaubt hatte, und dass er
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