Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
hauptsächlich seiner Gefährten wegen auf dieser Reise war.
„Deshalb sind sie bei dir“, unterbrach der Adler seinen Gedankenfluss. „Sie sind bei dir, um deinen Traum in dir am Leben zu erhalten. Verlass ihn nicht. Gib nicht auf, was immer auch passieren mag. Das Höhlentor, die Große Tiefe – sie musst du überwinden, um den Eingang zu den Sturmbergen zu finden, den Eingang in die Dunkelheit. Denn bevor du die Höhle der Träume betreten kannst, musst du deinen Alpträumen entgegentreten.“
Damit sprang der Adler von dem Felsen herunter und landete vor Joshua. Er war gut viermal so groß wie Joshua, mit weißen Federn um seinen gewaltigen Schnabel und auf seiner Brust und seinen hellbraunen Flügeln mit dunklen Rändern. Seine Augen schienen tief in Joshuas Seele hineinzublicken. Er empfand Ehrfucht vor dem Adler, hatte aber im gleichen Moment das seltsame Gefühl, dass diese auf ihn selbst zurückstrahlte.
„Ayres grüßt dich.“ Der Adler breitete seine Flügel aus und als Joshua dachte, er würde abheben, neigte er seinen Kopf tief zur Erde.
Dann stieß er sich vom Boden ab und schwang sich mit einigen kraftvollen Flügelschlägen hoch in die Luft, wo er zu kreisen begann und mehrere laute Schreie ausstieß.
Joshua, benommen und irgendwie peinlich berührt, blickte ungläubig vom Adler zum Wolf, der von dem Felsen heruntersprang und zu ihm herüberkam.
„Ich bin so froh, dass du lebst.“ Joshua konnte seine Freude kaum im Zaum halten. „Wie bist du... wie ist es möglich, dass du lebst? Und was um alles in der Welt bedeutet das alles?“
„Komm“, antwortete der Wolf. „Lass uns Wasser und Futter finden und ich werde dir alles sagen, was ich weiß.“
Als sie über das grüne Grasland wanderten, auf dem große Bäume mit langen, niedrigen Ästen wuchsen, wunderte sich Joshua darüber, dass er immer gehört hatte, das Höhlentor sei ein dunkler Ort voller Kreaturen, die das Licht mieden. Was er jetzt zu sehen bekam, war eine üppige Landschaft mit Hügeln und Tälern und–
„Lass dich nicht von der Schönheit blenden.“ Grau holte ihn zurück. „Dies ist ein Ort des Trübsals, der seine eigenen Gesetze hat. Ein Tag dauert sieben Tage, doch eine Nacht dauert ebenso lange, und wenn die Sonne im Westen untergeht, willst du von hier so weit weg sein wie möglich.“
„Wie hast du überlebt?“, fragte Joshua.
Als sich ihre Blicke trafen, sah Joshua ein Bild vor seinem inneren Auge: Grau, wie er vom Himmel fiel wie ein Stein. Er brach durch den Nebel und als es schwarz wurde, überkamen ihn einen Moment lang Erinnerungen an seine Gefährtin und wie sie an seiner Seite im tiefen Winter durch die eisigen Wälder streifte. Der Stich des Verlustes, den der Wolf in diesem Moment spürte, verweilte wie ein Echo tief in Joshuas Seele. Dann war es wieder hell und der Boden kam näher und näher, bis plötzlich etwas an ihm zog und ein stechender Schmerz seine Flanken durchfuhr. Joshua sah den Adler mit dem Wolf in seinen Krallen, wie er auf den Boden zuschwebte.
„Hat der Adler dich gesehen?“, fragte Joshua. „Wie konnte er dich sehen, hinunterfliegen und dich so schnell fangen?“
„Das hat etwas mit dem Tor der Zeit zu tun“, antwortete Grau.
„Das Tor der Zeit?“, wiederholte Joshua.
„Die Zeit vergeht hier unten langsamer als auf der Oberfläche. Eine Woche hier unten ist oben nur ein Tag. Das Tor der Zeit liegt in der Mitte der beiden Welten. Es ist ein Ort, den man passiert, bevor man den Boden erreicht. Dort existiert keine Zeit und die Vergangenheit und die Zukunft liegen gleichermaßen in der Gegenwart.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das verstehe.“ Seine Verwirrung musste Joshua anzusehen sein, denn Grau blieb stehen und wandte sich ihm zu.
„Die Adler haben ihre Nester direkt unter dem Tor. Sie sehen hindurch und darüber hinaus. Als ich fiel, konnte Ayres mich sehen. Doch weil sich die Zeit oben anders verhält, sah er mich sehr langsam fallen. Er erkannte mich, und als ich durch das Tor kam, fing er mich auf und brachte mich sicher zum Boden.“
„Woher kennst du ihn?“, wollte Joshua wissen.
„Das, mein Freund, ist eine lange Geschichte und ich täte nichts lieber, als sie dir zu erzählen – nachdem wir gefressen haben.“
Und so wanderten sie noch ein wenig weiter zu einem Ort, wo Wasser über einige große Felsen lief und in einem kleinen Becken mündete. Grau verschwand eine Weile, um nach Beute zu suchen. Die Erde um das Becken war weich und am
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