Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
dann wurde das Knacken des gefrierenden Wassers plötzlich von einem anderen Geräusch übertönt. Es wurde verursacht von Hunderten und Aberhunderten von Füßen, die über eine gläserne Oberfläche krabbelten. Das Geräusch hinter ihnen schwoll zu einer Welle jenseitiger Ausmaße an. Diesmal war es Grau, der seinen Kopf drehte. Was er sah, war schlimmer als alles, was er jemals hätte beschreiben können.
Die Spinnen kamen aus den Löchern im Boden. Erst waren es Dutzende, dann Hunderte von behaarten Körpern, die in einer ungeheuren Geschwindigkeit den Hügel hinunter und auf den Turm zukrabbelten. Sie mussten über einen Meter breit und fast so groß wie der Wolf sein. Das Geräusch war ohrenbetäubend laut und so entsetzlich, dass Joshua höher und schneller flog, als er es jemals für möglich gehalten hatte. Als sie die Stufen auf der anderen Seite des Damms erreichten, waren die Spinnen am Seeufer angekommen. Der Wolf sprang die steinernen Stufen hinauf und nahm dabei drei oder vier Stufen auf einmal. Er kam zuerst auf dem Plateau mit der großen Tür an.
Als Joshua die Stufen hinaufflog, hörte er den Wolf in seinen Gedanken.
„Die Tür, Joshua. Die Tür ist verschlossen. Wir können nicht hinein!“
Joshua erreichte das Plateau. Hinter ihm kroch das Eis den Felsen hinauf. Die Spinnen hatten bereits den halben See überquert. Und Joshua spürte plötzlich, dass es aus war, dass er am Ende seiner Reise angekommen war. Entweder würden die Spinnen ihn erwischen oder das Eis. Es machte keinen Unterschied. Er hatte nicht gedacht, dass so sein Ende aussehen würde. Er war immer davon überzeugt gewesen, dass er durch ein Raubtier sterben würde, einen Fuchs oder eine Eule. Aber nicht durch eine Spinne, die viermal so groß war wie er, oder durch Temperaturen, die einem den Atem gefrieren ließen und ihn in Sekundenschnelle in Eiszapfen verwandelten. Grau und Joshua sahen einander an und versicherten einander wortlos ihrer Freundschaft. Dann drehten sie sich um, um dem entgegenzusehen, was sie als Erstes erreichen würde.
Der Schatten, der plötzlich die Sonne verdeckte, wurde größer und größer und Joshua blickte auf. Im blendenden Licht erkannte er eine verschwommene Silhouette, die auf sie zukam. Er konnte eine dunkle Gestalt ausmachen und riesige Flügel, die die Luft beiseitedrückten. Und dann landete Krieg neben ihnen.
„Geht von der Tür weg“, befahl er ihnen in Gedanken. Und bevor Joshua reagieren konnte, trat das Kriegspferd mehrmals gegen die Tür, bis sie aufflog.
„Rein mit euch“, kommandierte er.
Und als Wind auf dem eisbedeckten Plateau landete, flog Joshua durch die Tür. Grau, Wind und Krieg folgten ihm.
„Nehmt die Treppe nach oben“, erreichten sie Winds Gedanken. „Es ist noch nicht vorbei.“
Krieg trat von innen gegen die Tür und sie schloss sich mit einem Knall, der in dem großen Raum widerhallte. Als Joshua die gewaltige Treppe hinaufrannte, die sich die Wände entlangwand, hörte er die Spinnen auf der Außenseite. Einen Moment lang nahm er die Szenerie in sich auf: eine breite, riesige Wendeltreppe aus Stein, die in dem hohen Turm bis ganz nach oben reichte. Als Krieg an Joshua vorbeikam, hielt er kurz an.
„Flieg auf meinen Rücken“, dachte er.
Joshua gehorchte, ohne zu zögern. Als sie die Treppe hinaufrasten, sah Joshua, wie das Eis die Wände entlang auf sie zukroch. Die untersten Stufen waren bereits vollständig von Eis bedeckt. Sie mussten die Turmspitze erreichen, bevor das Eis sie einholte.
„Du hast Flügel!“, konnte Joshua sich nicht verkneifen.
„Ja, die habe ich, mein Freund.“
Für einen kurzen Moment wurde Joshuas Angst verdrängt von der puren Freude, Krieg gesund und munter wiederzusehen. Dann warf er einen Blick zurück und sah, dass das Eis sie fast eingeholt hatte.
„Wir sind da!“, erreichten ihn Graus Gedanken. Und damit verschwand er durch ein Loch in der Decke. Wind folgte ihm und dann Krieg mit Joshua auf dem Rücken. Dieser Teil des Turms war vollkommen aus Glas gebaut, durchzogen von dünnen, behutsam verarbeiteten Balken, die die Struktur bildeten, in die das Glas eingelassen war. Als sie in dem großen Raum standen, der mindestens fünfzig Meter breit und mehr als doppelt so hoch war, konnten sie beobachten, wie das Eis ungefähr zehn Meter das Glas hinaufkroch und dann anhielt. Im gleichen Moment erreichten die Spinnen die Turmspitze. Einen Moment lang war alles ruhig, bis auf das gruselige Knacken des Eises draußen.
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