Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
Mitte des Raums. Joshua fühlte eine Welle des Schwindels, die über ihm zusammenschwappte, als er hinuntersah. Von hier oben erschienen Wind und Grau sehr klein im Vergleich zu der riesigen Kuppel. Sein Blick wanderte von ihnen auf den Boden.
Und plötzlich sah er es. Krieg musste es im gleichen Augenblick entdeckt haben. Er schnappte erschrocken nach Luft und einen Moment lang dachte Joshua, er würde die Kontrolle verlieren. Aber Krieg fing sich wieder und einige Sekunden lang schwebten sie hoch oben und sahen hinunter in das Gesicht einer Löwin.
Es war als Mosaik in die Fliesen auf dem Boden gelegt und von unten unmöglich zu erkennen. Doch von hier oben aus gesehen bedeckte ihr Gesicht den ganzen Boden. Ihre grünen Augen schienen tief in Joshuas Seele einzudringen. Sie hatte weiße Male auf den Wangen, eine rosafarbene Nase und dunkle Flecken zwischen ihren Augen und auf ihrer Stirn. In ihrem Ausdruck war keine Gefahr zu erkennen. Nur klare und unangefochtene Autorität. Joshua hörte ihre Gedanken in seinem Kopf widerhallen.
„Wenn du diese Reise fortsetzen willst, musst du mich tief in dir selbst finden. Sonst wird dich der Berg nicht wieder freigeben, wenn du erst einmal in sein Reich eingedrungen bist.“
Ihre Gedanken wühlten etwas in Joshua auf, das er noch nicht fassen oder verstehen konnte. Sie schwebten noch einige Augenblicke hoch oben. Joshua konnte seinen Blick nicht von ihr wenden. Sie hielt seinem Blick stand, bis sie wieder neben ihren Gefährten landeten. Von hier aus war das Gesicht der Löwin wieder unsichtbar. Alles, was sie sahen, waren farbige Steinkacheln, die keinerlei Muster zu folgen schienen. Ihre Gedanken jedoch standen klar in Joshuas Kopf, unverkennbar verbunden mit ihrem Bild. In diesem Moment wurde ihm klar, dass das, was sie zu ihm gesagt hatte, nicht einfach nur ein Ratschlag gewesen war. Sie hatte ihm eine Anweisung gegeben und er tat wohl gut daran, sie zu befolgen.
* * *
Wind war die erste, die das Schweigen brach, das sie alle gelähmt hatte. Sie begann, leise zu weinen.
„Du hast die Löwin gesehen, Joshua“, dachte sie.
„Ja, das habe ich.“ Immer noch beeindruckt von dem, was er beobachtet hatte, ließ Joshua seinen Blick von Wind zu Grau wandern.
„Wir haben sie durch deine Augen gesehen“, antwortete der Wolf seinem fragenden Blick. „Bis zu diesem Moment dachte ich, sie wäre nur eine Legende, nichts als ein Mythos, der von Generation zu Generation weitergegeben wird. Aber als ich sie gesehen habe, war es, als hätte ich sie schon immer gekannt.“
„Das ändert alles“, dachte Wind zu ihnen.
„Wie meinst du das?“, fragte Joshua.
„Ich weiß auch nicht genau. Aber ich weiß, dass niemand, der die Löwin gesehen hat, danach derselbe ist wie zuvor.“
Sie schwiegen eine Weile, während jeder seinen Gedanken nachhing. Wind trat in die Mitte des Raums.
„Ich weiß, was du tun musst“, erreichten ihn ihre Gedanken. „Sieh mal hier.“
Joshua flatterte von Kriegs Rücken herunter und ging zu Wind hinüber.
„Ich habe es durch deine Augen gesehen. Du erinnerst dich vielleicht nicht. Du hattest es nur ganz kurz im Blick. Aber schau, genau hier. Zwischen ihren Augen.“
Joshua sah, dass dort, wo sie stand, zwei der Steinkacheln einen Sprung hatten. Der Riss hatte die gleiche Form wie der im Glas.
„Du musst hier stehen und durch das Glas sehen. Aber nicht nur du. Ihr alle. Ihr drei seid hierhergekommen. Ihr drei müsst den Weg tief in das Innere des Berges finden.“
Joshua verstand. Grau und Krieg ebenfalls. Das Pferd stellte sich so zu ihnen, dass sich seine Vorderhufe genau über dem Riss befanden.
„Kannst du auf meinen Rücken springen, Grau?“, fragte Krieg.
„Ich glaube schon“, antwortete der Wolf.
„Versuch es.“ Krieg stellte sich in Position und spannte die Muskeln an, während Grau zehn Meter zurücktrabte, sich dann umdrehte und auf das Pferd zustürmte. Kurz bevor Joshua dachte, er würde in Krieg hineinrasen, sprang der Wolf und landete auf seinem Rücken.
„Jetzt bist du dran“, dachte Krieg zu Joshua. „Komm hier hoch, Roter, und sag uns, was du siehst.“
Joshua flatterte auf den Rücken des Wolfs. Direkt vor ihnen, ungefähr fünfzehn Meter entfernt, lag das Westfenster, der Riss befand sich genau auf seiner Augenhöhe. In der Ferne dahinter ragte die Große Wand in den Himmel. Joshua ließ seinen Blick auf dem kleinen Riss ruhen und sah dann direkt daran vorbei. Nichts geschah. Er
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