Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
Kraft und Anmut. Und als Joshua seine Augen öffnete, sah der Geier das Antlitz der Löwin in ihm. Für einen Moment durchfuhr ihn ein Entsetzen, wie er es er noch nie zuvor erlebt hatte. Es traf ihn wie ein Rammbock. Er sah die Löwin in Joshuas Augen und wusste, dass er gegen sie keine Chance hatte.
Joshua stieß einen Hahnenschrei aus, der durch die Höhle hallte und weit darüber hinaus. Und in diesem Moment schwoll die Melodie zu voller Lautstärke an.
„SCHILDKRÖTE!“ Die Gedanken des Wolfs erreichten ihn im gleichen Moment, in dem Alda durch die Wasseroberfläche brach. Ihr gewaltiger Körper hing einen Augenblick lang in der Luft. Joshua sah den Geier, der immer noch gegen das schreckliche Bild der Löwin ankämpfte, das Joshua in ihm hervorgerufen hatte. Und für den Bruchteil einer Sekunde geschah alles in Zeitlupe. Er sah das Wasser, das von dem Panzer der Schildkröte herunterstürzte. Er sah, wie die Spinnen darauf reagierten und versuchten, sich von dem Krater zu entfernen. Er sah, wie Krieg den Kopf hob. Er sah, wie die Hyänen sich zur Flucht wandten und er sah, wie Grau eine von ihnen an der Kehle packte und sie zu Boden drückte.
Dann schlug die Schildkröte mit einem ohrenbetäubenden Missklang auf der Wasseroberfläche auf. Die Flutwelle, die dadurch entstand, schwappte über den Rand und weit in die Höhle hinein, spülte über Grau, Krieg und Wind hinweg und riss Hunderte von Spinnen mit sich. Der Geier erhob sich in die Luft, laute Schreie ausstoßend. Joshua wurde weiter in die Höhle hineingeschwemmt, wo er auf einem kleinen Felsvorsprung landete. Von dort aus beobachtete er, wie sich die Szene vor seinen Augen entwickelte.
Das Wasser erreichte den Drachen. Es begann sofort, die Spinnweben aufzulösen. Er schüttelte seinen gewaltigen Körper und die meisten der Spinnen fielen von ihm ab. Als das Wasser sie erreichte, starben sie nicht. Es sah vielmehr so aus, als ob etwas ihre gequälten Körper freigab und der aufgehaltene Verwesungsprozess nun ungeheuer schnell fortschritt. Innerhalb weniger Sekunden waren sie verschwunden.
Der Drache stand auf und breitete seine Flügel aus purpurrotem Leder aus. Seine spitzen Zähne funkelten im gedämpften Licht. Seine Augen waren dunkelgrün wie geschliffene Smaragde. Seine dunkelblauen Schuppen bewegten sich wie kleine Wellen, als er einen Schrei ausstieß, der die Höhle von einem Ende zum anderen erfüllte. Die meisten Spinnen waren die großen Säulen hinaufgekrabbelt oder weiter in die Höhle hinein geflohen. Der Drache holte tief Luft. Joshua bemerkte es und wusste sofort, was passieren würde. Er hoffte inständig, dass es ihn und die anderen nicht erreichen würde. Dann schoss eine flüssige Flamme aus seinem Maul. Sie kletterte eine der Säulen hinauf und verwandelte alles in Asche, was ihr im Weg stand. Das Netz, in das der Pegasus eingewickelt gewesen war, verbrannte innerhalb weniger Sekunden. Die Hitze der Flamme war beinahe unerträglich. Dann hörte es auf. Die verrauchte Luft war erfüllt vom Geruch der Spinnenkadaver.
Joshua sah, wie Krieg aufstand und sich schüttelte. Er sah, wie Grau das, was von der Hyäne übrig geblieben war, in den Krater zerrte. Er sah, wie Alda aus dem Wasser kletterte und sich auf Wind zubewegte. Nun, da die direkte Gefahr vorbei zu sein schien, galt jedermanns Sorge ihr. Joshua ging langsam zu ihnen hinüber. Sein Körper schmerzte sehr, aber er stellte fest, dass die Furcht ihn verlassen hatte. Das Bild und die Anwesenheit der Löwin hatte sie völlig ausgelöscht. Er konnte die Schreie des Geiers immer noch weit über ihnen hören und ihm war bewusst, dass er noch nicht aufgegeben hatte, aber er wusste auch, dass ihnen einige Minuten zum Verschnaufen blieben, bevor er sich erholen würde. Seine Angst vor ihm war verschwunden. Der Geier hatte jede Macht über ihn verloren.
Sie standen um Winds Körper herum: Alda, die eine Melodie summte, die sich anhörte wie ein Wiegenlied, hatte ihren Hals weit herausgestreckt und ihr Kopf war nur wenige Zentimeter von Winds entfernt; Grau, der immer noch zitterte, gewann langsam seine Haltung zurück; Krieg, sein Gesicht nah an Winds, stupste sie sanft mit seiner Nase an. Ihre Wunden hatten zu heilen begonnen. Das Wasser hatte die Infektion weggespült und mit ihr den tödlichen Griff des Geiers, in dem sich ihr Körper befunden hatte. Dann öffnete sie die Augen. Ihr Blick traf Kriegs. Einen Moment lang sah sie ihn nur an.
„Keine Grenzen“, flüsterte sie
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