Die drei Frauen von Westport
Annie unvermittelt dieWut.
»Das ist die Idee«, hörte sie Miranda sagen.
»Ach, Miranda«, erwiderte Annie mechanisch, wie sie es so oft tat.
Aber Miranda hatte sich bereits alles genau überlegt, und als sie bei ihrer Mutter eintrafen und ihr davon berichteten, war Betty hellauf begeistert.
»Ich weiß, dass du das nicht ernst meinst«, sagte Annie.
»Das ist so praktisch, Liebes«, sagte Betty. »Dann könntet ihr Mädchen nämlich eureWohnungen untervermieten und viel Geld damit einnehmen.«
Mirandas Handy klingelte. Sie schaute darauf, meldete sich jedoch nicht. Einer derVerlage hatte sie verklagt. Deshalb hatte sie kein Geld mehr; zumindest hatte ihr Anwalt ihr das so dargelegt. Alles war gesperrt, bis die R echtslage geklärt war. Miranda lebte von ihren Kreditkarten. Das war zwar immer schon so gewesen, aber früher hatte sie einen Angestellten gehabt, der die Abrechnungen bezahlt hatte. Jetzt hatte sie kein Geld mehr, um einen Angestellten fürs Bezahlen der Kreditkarten zu bezahlen. »Viel Geld«, wiederholte sie hoffnungsvoll dieWorte ihrer Mutter.
»Mom«, sagte Annie, »du hast uns gerade ›Mädchen‹ genannt. Aber wir sind Frauen jenseits der fünfzig. Ihr beide spinnt euch mal wieder was zurecht.«
»Ich bin neunundvierzig«, betonte Miranda. »Und ich spinne nicht.«
»Es wird so sein wie während derWeltwirtschaftskrise, als alle zusammenwohnten«, schwärmte Betty. »Oh, das wird toll, ich kann’s kaum erwarten.«
Annie kannte diese Stimmlage ihrer Mutter zur Genüge. Es war ihre Picknick-Stimme. »Das ist aber kein Picknick«, sagte sie hilflos.
Betty sah sie betroffen an. »Das sagt Josie auch immer«, sagte sie und brach inTränen aus.
»Ein abscheuliches Experiment«, sagte Annie zu ihrem Sohn Charlie, als er sie ein paarTage später anrief. »Drei erwachsene Frauen, der Erinnerung an das Leben einer Kleinfamilie aufgepropft. So eine Art Frankensteins Monster. Es wird bestimmt Horden gewalttätiger Bauern geben. Mit Fackeln.«
»Du brauchst doch nicht mitzugehen, wenn du nicht willst«, erwiderte Charlie.
»Wenn ihr euch einbildet, ihr könnt euch darum drücken, mich im Alter zu pflegen, du und dein Bruder, indem ihr mir erlaubt, meine Mutter in dieser Zeit der Not alleinezulassen, habt ihr euch geschnitten.«
Charlie lachte. »Und wie willst du das mit deiner Arbeit hinkriegen?«
»Ich muss eben pendeln.Werd mir einen grauen Flanellanzug zulegen.«
Charlie war zu jung, um diese Anspielung zu verstehen.
»Okay«, erwiderte er etwas unsicher.
»Ich kann einfach nicht fassen, dass ich mich dazu habe überreden lassen«, sagte Annie.
»Tante Miranda kann jeden zu allem überreden.«
Das Einpacken verzögerte den Aufbruch, obwohl Betty zu Anfang lediglich eine Zahnbürste mitnehmen wollte.Was hielt sie hier noch?Was war ihr geblieben?
»Dein Leben?«, schlug Annie vor.
»Mein Leben ist vorbei.«
»Das finde ich aber sehr dramatisch, Mutter.«
»Nur ein paar Cracker für die Fahrt«, sagte Betty. »Und eine Strickjacke.«
Doch dann führte ein Pulli zum nächsten, der wiederum passende R öcke und Hosen, Jacken, Schuhe und Handtaschen erforderlich machte. »Und die brauche ich natürlich«, sagte Betty und packte Fotos und diverse große Gemälde ein. »Und etwas, worauf man sitzen kann. Und schlafen. Und etwas zum Kochen. UndTeller und dieTeekanne … Und das gute Kristall und das Silber werde ich ganz bestimmt nicht hierlassen …«
In den folgendenWochen trafen sich die drei wiederholt in derWohnung am Central Park, um Möbel mit Aufklebern zu versehen und Bettwäsche, Töpfe und Pfannen zu sichten.
»Ich ziehe ja nicht wirklich aus«, hörte man Betty murmeln. »Ich bringe das alles wieder zurück, sobald die Sache geklärt ist.«
»Wenn ich einen Garten hätte«, sagte sie an einemTag, »würde ich einfach alles bis zu meiner R ückkehr dort vergraben.«
»Wenn die Kampfhandlungen eingestellt werden? Cousin Lou mag das so sehen, aber in Wirklichkeit bist du kein Flüchtling, Mutter.« Annie bereute ihreWorte noch im selben Moment. Wieso gönnte sie ihrer Mutter nicht dasVergnügen, sich diese schäbige Scheidung zu einem heroischen Kriegsroman umzudeuten? Aber das dramatische Selbstmitleid ihrer Mutter und ihrer Schwester zerrte ihr an den Nerven. Die beiden schienen diesen erbärmlichen Umzug als grandioses abenteuerliches Melodram zu empfinden. Einerseits beneidete Annie sie darum, denn wie konnte man nur aus einer Niederlage eine derart berauschende
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