Die drei Frauen von Westport
Befriedigung ziehen? Andererseits war sie nicht bereit,Verständnis dafür aufzubringen, dass die erwiesenermaßen uninteressanten Aufgaben wie das Bestellen von Umzugsfirma und Kartons und die Frage, wovon das alles bezahlt werden sollte, so sicher wie das Amen in der Kirche ihr zufallen würden.
»Das ist eine Metapher«, erwiderte Betty. »Davon hast du doch bestimmt schon gehört, Frau Bibliothekarin.«
Miranda, die sich einen im Schrank entdeckten Strohhut aufgesetzt und eine Spitzentischdecke wie eine Mantille um die Schultern gelegt hatte, trat zwischen die beiden. »Streitet nicht. Die Zigeunerfamilie muss zusammenhalten.«
»Erinnert mich eher an die Familie aus Früchte des Zorns «, entgegnete Annie.
Und sofort stellte sich das Bild dazu ein: Die Matratzen aufs Dach ihrer rostigen alten Karosse geschnallt, tuckerten sie über staubige Straßen genWestport in Connecticut, um sich dort als Erntearbeiter zu verdingen. DieVorstellung besänftigte Annie, und sie lächelte, denn der Ausdruck »alte Karosse« hatte ihr schon immer gut gefallen.
Noch während die drei ihre Sachen packten für ihr Leben im Stil der Großen Depression, trockneten die Geldquellen weiter aus. Joseph und Betty hatten sich schon vor langer Zeit in der finanziellen Sicherheit der oberen Mittelschicht eingerichtet. Jeder außer den wirklich R eichen hätte sie als reich bezeichnet, und Geld war für sie eher eine Selbstverständlichkeit als ein Grund zur Sorge. Die neue Wirklichkeit kam deshalb wie ein Schock für Betty und machte sich zunächst vor allem darin bemerkbar, dass sie zu wenigTrinkgeld gab.
Das Leben war viel teurer geworden seit ihrer Jugend, als sie sich zum letzten Mal mit Preisen befassen musste. Seit sie mit Joseph zusammen war, hatte sie nie für etwas bezahlen müssen. Sie pflegte zwar keinen extravaganten Lebensstil, hatte sich jedoch über Geld nie Gedanken machen müssen und es infolgedessen auch nicht getan. Und weil sie nicht unvernünftig gewesen war und nur haben wollte, was sie für ihre gesellschaftliche Stellung als angemessen empfand, war das Geld nie knapp geworden. Nun allerdings war es knapp. Aus heiterem Himmel. UndVernunft nützte ihr da gar nichts mehr.
»Kümmere du dich um die Geldsachen, Liebes«, sagte Betty zu Annie.
Zeit ihres Berufslebens hatte Miranda die Bezahlung von R echnungen ihrem Finanzmanager überlassen. Doch nach den Skandalen hatte selbiger festgestellt, dass kein Geld mehr da war, um ihn dafür zu bezahlen, dass er die R echnungen bezahlte.Von dieserTatsache hatte er Miranda behutsam in Kenntnis gesetzt, bevor er sich aufmachte, um die R echnungen zahlungskräftigerer Unternehmer zu bezahlen. Leider nahm er dabei die R echnungen nicht mit. Miranda gab ihr Büro auf, aber auch damit konnte sie die R echnungen nicht abschütteln, die ihr nun nach Hause folgten. Schließlich nahm Miranda diesen hartnäckigen, bösartigen Haufen R echnungen, diesen Beweis ihres Scheiterns, diese vorwurfsvollen, demütigenden Botschaften aus einem Leben, das sie eingebüßt hatte, mit in dieWohnung ihrer Mutter am Central ParkWest. Dort deponierte sie die deprimierenden Umschläge auf dem kleinen antiken Tischchen imWohnzimmer und überließ sie ihrem Schicksal, bis Annie es nicht länger ertragen konnte und sie öffnete.
Danach war es an Annie, sich Sorgen um ihre Finanzlage zu machen. Aber Annie war im Sorgenmachen erheblich versierter, und in puncto Geldsorgen war sie geradezu Expertin. Sie nahm es ihrer Mutter und ihrer Schwester nicht übel, dass die beiden ihre Geldprobleme auf sie abwälzten. Es bekam Annie sogar besser, sich darum zu kümmern, als ihrer eigenen permanenten Geldmisere ins Gesicht zu blicken. Denn ihre eigene Lage – die ohnehin immer prekär war, da dieTräger der Bibliothek nicht gewinnorientiert arbeiteten und dieses Prinzip rigoros auf ihre Angestellten anzuwenden schienen – war mehr denn je Anlass für Albträume. Und Albträume hatte Annie reichlich; einige nachts, einige an ihrem Schreibtisch in der Bibliothek und weitere in der U-Bahn. Die Sorgen stiegen plötzlich auf wie ein widerlich modriger Gestank, und Annie ging schneller, um sie hinter sich zu lassen. Sie zwang sich zur Konzentration auf den Brief, in dem sie sich zum Ankauf eines Briefwechsels für die Bibliothek äußerte, oder sie lenkte sich mit einem Zitat des Mannes ab, den sie als neuesVorbild erkoren hatte, Mr. Micawber. Dann verflog der Gestank des Geldmangels vorübergehend – allerdings
Weitere Kostenlose Bücher