Die drei Frauen von Westport
über den Paillettenpullover hatte sie zu verbergen versucht. Annie hatte so ein gutes Herz. Es muss anstrengend sein, wenn man so kritisch und so sensibel zugleich ist, dachte Betty. Sie freute sich, dass Annie an diesem Frederick Barrow Gefallen fand. Er hatte etwas Fröhliches in den Augen, das Annie guttun würde. Die arme Annie. Sie war ein so früh erwachsenes Mädchen gewesen. Hatte ihrer übermütigen Schwester zugeschaut, wie sie schrie und tobte und herumwirbelte, und dabei bereits damals so rührend besorgt ausgesehen wie heute. Betty beobachtete, wie Miranda jetzt auf Annie zuging und sie in die Arme nahm. Annies Gesicht wurde sanfter. Was für ein Glück ich doch habe, dachte Betty. Sie spürte, wie ihr wieder die verfluchten Tränen in die Augen stiegen. Ich habe so ein Glück, dachte sie noch einmal. Aber die Tränen wollten zurzeit nicht auf sie hören. War das früher anders gewesen? Sie konnte sich kaum mehr erinnern, wie sie gewesen war vor diesen jüngsten Ereignissen.
6
Miranda lag in dem Bett aus ihrer Kindheit und lauschte dem Zirpen der Zikaden. Es mussten viele sein, denn sie machten einen ziemlichen Radau. Zikaden waren doch diese Tiere, die schlüpften, zirpten, sich paarten und anschließend starben. Miranda empfand einen Anflug von Mitgefühl für die lärmenden Insekten. Dieses Muster war ihr vertraut. Die Liebe fand sich ein, und man freute sich über die Wärme; dann war die Jahreszeit um, und man zitterte in der Kälte. Dennoch gab es wenigstens in diesem Bereich nichts zu bedauern; die Jahreszeiten kamen immer wieder, und so war es auch mit der Liebe. Die Liebe blieb immer gleich, wenn auch die Männer wechselten und wenn sie auch keine Zikadennachkommen hervorbrachte. Die Liebe war ewig, selbst wenn die Liebhaber es nicht waren.
Miranda fragte sich, wie ihrer Mutter wohl zu Mute war, nachdem sie immer geglaubt hatte, ihre Ehe sei für die Ewigkeit, und nun – wenngleich nach sehr langer Zeit – feststellen musste, dass auch dieser Zustand vergänglich war. Ob Betty sich wohl so fühlte wie Miranda nach ihren diversen explosivenTrennungen, nach denen sie jeweils das Bedürfnis hatte, weiterzuziehen und das ergötzliche Balzspiel desVerliebtseins wieder aufzunehmen?
Sie stand auf und ging leise dieTreppe hinauf zum Schlafzimmer ihrer Mutter, blieb in demTürbogen stehen. Mildes Mondlicht fiel durchs offene Fenster. Wie bleich Betty in dem bläulichen Licht aussah. Sie atmete gleichmäßig und geräuschvoll, aber ohne zu schnarchen. Miranda wurde plötzlich schmerzhaft bewusst, dass ihre Mutter alt war, eine alte Dame mit faltiger Haut und zerbrechlichen Knochen. Und dass sie sich gewiss nicht fühlte wie Miranda nach einerTrennung, dass Betty nicht mehr dasVerlangen verspürte, weiterzuziehen, zu zirpen, sich zu paaren, sich an einer neuen Saison der Liebe zu ergötzen. Sondern dass sie sich so fühlte, wie sie war: alt und allein in ihrem Bett.
Binnen weniger Wochen machte das kleine Haus erstaunliche Veränderungen durch. Bettys Seidenperserteppich in Blassblau und Beige verdeckte im Wohnzimmer den abgetretenen Linoleumboden. Die Queen-Anne-Sessel mit dem cremeweißen Seidenbezug und die Ledercouch aus Josephs Studierzimmer wurden mit viel Gespür in dem kleinen Raum arrangiert. Sogar die Vorhänge hatte Betty mitgenommen, so dass man sich nun vorkam wie im Wohnzimmer eines Cottage im Connecticut der Dreißigerjahre.
Leider erinnerten auch andere weniger erfreuliche Dinge an die Dreißiger. Der Herd stammte tatsächlich aus dieser Zeit, und der Ofen war kaum wesentlich jünger. Die Spülmaschine, ein Modell aus den Sechzigern, diente nur noch dazu, die kleine Spüle zu stützen. Cousin Lou hatte angeboten, die ganzen Geräte zu ersetzen, aber in dieser Hinsicht hatte Betty seine Großzügigkeit verweigert.
»Das ist alles so schön schrullig«, hatte sie gesagt. »Und sobald Joseph – er möge in Frieden ruhen – die rechtlichen Belange geklärt hat, ziehe ich wieder in meineWohnung, und du kannst dieses niedliche Häuschen abreißen …«
Cousin Lou zuckte ob der schnödenVokabel »abreißen« gequält zusammen.
»Sanieren«, verbesserte sich Betty. »Du kannst es sanieren. Aber es hat ja keinen Sinn, neue Haushaltsgeräte zu sanieren, nicht wahr?«
Betty war ausgesprochen stolz auf diese heroische Haltung. Sie wollteTapferkeit demonstrieren, um ihre Töchter, dieWelt im Allgemeinen und vor allem sich selbst zu stärken. AlsVerwandte im Cottage ihres Cousins zu
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