Die drei Frauen von Westport
nach.
Bei einer dieser Einladungen von Cousin Lou war Miranda Tischnachbarin eines großen, ernsten Mannes, der in seinem dunklen, tadellos sitzenden Anzug sehr stattlich wirkte.Wenn er nicht so förmlich gewesen wäre und keine Fliege getragen hätte, wäre er ein durchaus attraktiver Mann gewesen. Aber er war förmlich, und er trug eine Fliege, und nachdem er sich als Anwalt zu erkennen gegeben hatte, der mehr oder minder im R uhestand war, sagte er nur noch wenig. Miranda, die gerne zuhörte und das auch hervorragend beherrschte, empfand Schweigsamkeit für gewöhnlich als persönliche Beleidigung. Dennoch war sie immer bereit, Menschen eine zweite Chance zu geben.
»Was machen Sie denn nun, da Sie im R uhestand sind?«, zwang sie sich zu fragen. »Oder sollte ich sagen ›mehr oder minder im R uhestand‹?«
»Angeln.«
»Im Ernst? Aber Fisch ist doch so problematisch geworden.«
Er sah sie beunruhigt an. Ach wirklich?, hätte er beinahe gesagt.
»Ihn zu essen meine ich.«
»Ach so. Das.«
»Machen Sie sich keine Gedanken über die Erderwärmung und das Überfischen und Quecksilber?«
»Ach, ich fange sowieso nie einen.«
Danach kam die Unterhaltung komplett zum Erliegen. Miranda gab auf und wandte sich zu der Person an ihrer anderen Seite, Lous Gattin R osalyn.
»Ihr langweilt euch bestimmt sehr in unserer kleinen Stadt«, sagte R osalyn. Unlängst war Miranda mit einem riesigen Strauß irgendwelcher Gewächse, die sie weiß Gott wo gepflückt haben mochte und in denen es bestimmt von Bienen und Zecken nur so wimmelte, bei ihnen anspaziert gekommen und hatte ihnen das Bouquet geschenkt. R osalyn, die eine Heidenangst vor Borreliose hatte, entsorgte das Gesträuch, sobald Miranda aus dem Haus war. Dennoch war Mirandas Geste natürlich auf eine naiv gedankenlose Art lieb gemeint gewesen. Die arme Miranda. Sie musste sich schließlich irgendwie die Zeit vertreiben nach ihrem unglückseligen beruflichen Abstieg.Was das für ein gigantischer Skandal gewesen war. Sogar die New York Times hatte ausführlich darüber berichtet, obwohl nur eine beschränkte Anzahl vonVerlagen und Autoren davon betroffen war. Darauf einbilden konnte Miranda sich jedenfalls nichts, auch wenn die Vanity Fair einen Artikel darüber gebracht hatte.
R osalyn hatte sich bei der lieben Miranda bedankt für den verwanzten Unkrautstrauß und sie mit angemessener Herzlichkeit – nicht zu viel und nicht zu wenig – auf beideWangen geküsst. Nur weil jemand ganz unten war, musste man ihm ja nicht die kalte Schulter zeigen. Dennoch konnte R osalyn nicht umhin zu denken, dass es nicht sehr feinfühlig von Lou war, sie neben seine Cousine zu platzieren, wo doch am anderen Ende des Tisches eine so interessante Frau saß, eine R eporterin, jünger als Miranda und beruflich noch in ihrer Blütezeit, nicht im Abstieg begriffen. Nun ja, irgendwer musste sich eben mit Miranda unterhalten, da traf es eben die arme Gastgeberin. Unangenehme Aufgaben blieben immer an der Gastgeberin hängen. »Es muss wirklich langweilig sein nach der ganzen Aufregung …« R osalyn unterbrach sich. Ursprünglich hatte sie »in deinerVergangenheit« sagen wollen. Aber Miranda war schließlich weder tot, noch hatte sie offiziell ihre Agentur geschlossen. Sie war lediglich etwas abgehalftert. Wie drückte man so etwas höflich aus? R osalyn entschied sich für »im Großstadtleben«.
Miranda betrachtete fasziniert R osalyns Frisur. Ihr Haar, jüngst in einem rostrotenTon gefärbt, war ein so fein gewirktes Kunstwerk, dass Miranda beinahe der Atem stockte. Wie sollte sie sich denn langweilen, wenn es eine derartige Frisur zu bewundern gab?
»Du scheinst so viel Freizeit zu haben«, sagte R osalyn nun gerade. »Ich beneide dich!«, fügte sie hinzu, wobei sie inWahrheit einen Anflug von Mitleid empfand.
»Ja, es gibt so viel zu sehen hier.« Miranda bemühte sich, R osalyn ins Gesicht zu blicken, anstatt auf die gewellte Haarmauer oberhalb ihres Ohrs zu starren. »Richard Serra«, sagte sie dann leise. R osalyns fantastische Frisur sah aus wie eine Skulptur von Richard Serra. Sogar die Farbe passte.
»Nein, ich glaube, er lebt nicht hier.Wobei man sagen muss, dass seit jeher viele Künstler inWestport leben.«
Als Betty zuletzt inWestport gewohnt hatte, gab es dort im Stadtzentrum noch einen Schlachter mit Sägespänen auf dem Boden und einem Pappschwein im Ladenfenster. Und ein Billigkaufhaus.Woolworth? Nein, Greenberg’s, fiel ihr jetzt ein. Das war über
Weitere Kostenlose Bücher