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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathleen Schine
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Gast zu sein war akzeptabel. Aber sich einen neuen Kühlschrank schenken zu lassen – wie diese verarmten Frauen in der R ealityshow Queen for a Day –, das war mit ihrem Selbstwertgefühl nicht zu vereinbaren.
    AnWerktagen fuhr Annie mit dem Zug in die Stadt. Es erstaunte sie, wie viel Gefallen sie an diesen Fahrten fand. Bevölkert von Menschen in seriösen dunklen Anzügen – vorwiegend Männern – ratterte der Zug durch dieVorstädte. Gedeckte Farben, Seifenduft, das leise Knistern der Morgenzeitung, eine erholsame Stunde, geprägt von Frische und dem beruhigenden R ütteln des Zuges; dann, zehn Stunden später, erschöpft und verbraucht die kollektive Flucht vor einem langenTag vollerVerantwortung, mit entspannt gelockerten Krawatten und zerknitterten weißen Hemden – all das gab Annie das Gefühl,Teil von etwas zu sein, eine Zelle in einem gewaltigen atmenden bürgerlichenWesen.
    Betty las unterdessen Ratgeber für trauernde Witwen. In einem der Bücher wurde vorgeschlagen, dass sie ein Schraubglas verzieren und mit kleinen Zetteln füllen sollte, auf die sie und ihre Kinder zuvor schöne Erinnerungen an denVerstorbenen geschrieben hatten. Um sich gute Dekoideen zu verschaffen, fuhr Betty darauf umgehend zu Barnes and Noble, um ein Buch über Découpage zu erstehen. Im Buchladen entdeckte sie dann ein Buch für Golferwitwen, und zuhause verkündete sie, dass sie sofort mit Golfspielen beginnen müsse.
    »Aber, Mutter, eine Golferwitwe ist eine Frau, deren Ehemann sehr viel Golf gespielt hat«, stellte Annie klar.
    »Na ja, Josie spielt ja Golf«, wandte Miranda ein. »Im Urlaub. In der Stadt ist es natürlich nicht so einfach.«
    »Ganz genau«, sagte Betty. »Möge er in Frieden ruhen.«
    Annie stieß einen entnervten Seufzer aus, aber in Wirklichkeit genoss sie das Zusammensein mit den beiden mehr als je zuvor; jedenfalls deutlich mehr als in ihrer Kindheit und Jugend. Sie war kein unglückliches Kind gewesen; eher vorsichtig und in sich gekehrt, und ihre Zurückhaltung hatte sie vor dem exaltiertenWesen ihrer Mutter und ihrer Schwester geschützt. In dieser Hinsicht hatte sie sich immer mit Josie verbunden gefühlt: Ihr Stiefvater und sie hatten den Hintergrund aus eintönigen Blättern gebildet, vor dem sich die beiden anderen so laut und bunt wie tropische Vögel abheben konnten. Annie und Josie waren auch diejenigen, die praktisch dachten – die Servietten mitnahmen, wenn Miranda und Betty überstürzt zu einem Picknick im Park aufbrechen wollten; die an R egenschirme dachten, wenn Miranda und Betty an einem bedecktenTag über die Brooklyn Bridge spazieren wollten; die eine Landkarte einpackten, wenn Miranda und Betty unbedingt Herbstlaub oder Frühlingsblumen, Hyde Park oder dieWellen am Strand von Montauk Point sehen wollten. Annie dachte einen Moment lang liebevoll an ihren Stiefvater und stellte betroffen fest, dass es ihr beinahe lieber gewesen wäre, wenn er tatsächlich gestorben wäre, denn dann hätte sie ihn so in Erinnerung behalten können, wie er früher gewesen war: ein stets etwas distanzierter, aber ruhiger, geduldiger und verlässlicher Mann, jemand, den sie bewunderte und dem sie vertraute. Doch leider war er ein quicklebendiger, unzuverlässiger, abscheulicherVerräter.
    »Ich hab in einem Laden an der Post R oad dieses entzückende Jettarmband gefunden«, verkündete Betty und streckte ihren Töchtern das Handgelenk zur Begutachtung entgegen.
    Miranda betrachtete das Armband. »Echt Goth, Mom.«
    »Königin Victoria trug Jett, während sie um Prinz Albert trauerte«, sagte Annie. »Was für den R est ihres Lebens der Fall war.«
    Betty nickte wissend.
    »Natürlich war Albert tatsächlich tot, was sich bei gewissen anderen mir bekannten Witwen nicht so verhält«, fuhr Annie fort. »Sie hat mit diesem Schmuck damals eine Mode ins Leben gerufen.«
    »Na ja, heutzutage trägt ja jeder Schwarz«, entgegnete Betty. »Da falle ich doch gar nicht mehr auf. Und außerdem hat das Armband nur zweihundert Dollar gekostet. Seht ihr, wie sehr ich mich bemühe, sparsam zu sein?«
    Annie hätte ihre Mutter am liebsten geschüttelt, bis ihr hübscher kleiner Kopf auf dem faltigen Hals wackelte. Wir sind pleite , hätte sie gerne geschrien. Wir haben keine zweihundert Dollar, die wir für Klunker ausgeben können . Aber ihre Mutter war so verletzt, und auf ihre sonderbare verschwenderische Art versuchte sie tatsächlich, tapfer zu sein. Annie holte tief Luft. Sie legte die weißen

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