Die drei Frauen von Westport
war zu einer anderen gewechselt, was Annie deshalb so genau wusste, weil er Frederick angerufen hatte, während er gerade mit Annie zu Abend aß. »Solange er mir nicht auf derTasche liegt«, hatte Frederick nach demTelefonat gesagt. Annie, die ihre beiden Jungen abgöttisch liebte und niemals in Gegenwart von anderen ein abfälligesWort über sie gesprochen hätte, war etwas schockiert gewesen über diese drastische Bemerkung, hatte sich dann aber gesagt, sie sei eben eine humorlose jüdische Übermutter. Frederick erwähnte damals auch, dass Evans Freundin – mit der er allerdings auch gerade Schluss gemacht hatte – ein Model gewesen sei. Beide Informationen ließ Evan auch jetzt in die Unterhaltung einfließen, als gehörten sowohl das Model als auch dieTrennung zu seinen persönlichen R eferenzen. Er war ein großer, gut aussehender junger Mann, der durchaus selbst ein Model hätte sein können, und Annie hatte den Eindruck, als spiegle er sich gerade in der Fensterscheibe und zöge dazu eine Modelschnute mit geschürzten Lippen, verwegenem Blick und leicht geneigtem Kopf.
»Sie sind also die berühmte Annie«, äußerte Gwen mit unüberhörbar kühlem Unterton.
»Dad erzählt so viel von Ihnen«, fügte Evan hinzu, und seinemTonfall nach zu schließen hätte wohl auch er es vorgezogen, wenn sein Dad andere Gesprächsthemen gewählt hätte.
»Annie, ich dachte mir, wir beide gehen heute zur Feier desTages essen«, sagte Frederick.
»Meinst du nicht, dass du lieber zurückfahren solltest, Dad?«, sagte Evan. »Ich möchte eigentlich nicht, dass du die weite Strecke nachts fahren musst.«
Frederick lachte. »Ihr seid mir ja zwei«, sagte er.
»Nein, im Ernst, es sind sechs Stunden Fahrt«, erwiderte Gwen mit scharfem Unterton. »Sechseinhalb sogar.«
»Na, da hab ich ja Glück, dass ich keine Sperrstunde habe.«
Doch Annie erkannte bereits, dass diese Sperrstunde nun sofort eingeführt werden würde und dass sie das Essen mit Frederick in den Wind schreiben konnte. Kinder waren Tyrannen.
Auch Felicity war zu der Lesung gekommen, um ihren Bruder zu hören, und als sie zu ihnen trat, fiel Annie auf, wie sehr sie und Gwen sich ähnelten. Annie fragte sich, ob beide Frauen diese riesigen Augen vielleicht nachts nicht schlossen. Oder ob sie so aufklappten wie bei Puppen.
»Sie sollten den berühmten Schriftsteller nicht zu sehr mit Beschlag belegen«, sagte sie zu Annie.
»Nein, nein, schon klar.«
»Ich meine, ich bin seine Schwester .« Felicity warf Annie einen bedeutungsvollen Blick zu, dessen Bedeutung Annie aber unklar war.
Annie zeigte auf ihre eigene Schwester, als könne sie damit ihre Anwesenheit in dieser Gruppe rechtfertigen. »Da drüben ist meine Schwester«, sagte sie und winkte Miranda herbei. Dabei tippte sie sich mit dem rechten kleinen Finger an den linken Ellbogen, ihr Notzeichen aus der Kindheit, eine Geste, die keinenVerdacht erregte, einer aufmerksamen Schwester jedoch nicht entging.
»IhrVater hat eine wunderbare Lesestimme, finden Sie nicht auch?«, fragte Miranda, als sie Gwen und Evan vorgestellt wurde. »Ein sehr starkes Buch. Enorm kraftvolle Prosa …«
Miranda hätte diese mit möglichst aufrichtigem Tonfall vorgetragenen Höflichkeitsfloskeln noch fortgesetzt, doch Annie fiel ihr schnöde insWort, indem sie verkündete: »Meine Schwester ist Literaturagentin.«
»O ja, das wissen wir«, sagte Gwen und bedachte Miranda mit kaltem Lächeln.
»Verrufenheit steht mir gut zu Gesicht«, konterte Miranda.
»Schöne Miranda, Ihnen steht alles gut zu Gesicht«, bemerkte Frederick, was Annie sehr charmant fand. »›Dein Gesicht enthält den Abriss aller Ehr’ und Biederkeit‹«, fügte er in dem erhabenenTonfall hinzu, den Menschen bei Literaturzitaten anschlagen.
»Insgesamt eine sehr nette Familie«, kommentierte Felicity, und in ihren Kulleraugen lag ein beinahe herausfordernder Ausdruck. »Aber warum sollte sie das auch nicht sein?«
»Was für eine weite R eise hast du denn noch vor dir?«, fragte Annie Frederick. Sie verzichtete von vornherein darauf, »nach dem Essen« hinzuzufügen, denn es schien bereits festzustehen, dass es dieses Essen nicht geben würde. Keine Diskussion, kein Essen, basta.
»Cape Cod.«
»Ich verstehe ja nicht, wieso du dort wohnst«, äußerte Gwen. »Im Sommer, sicher. Aber im Winter?«
»DeinVater ist sentimental«, antwortete Felicity. »Das hat ihm bislang nicht geschadet, jedenfalls was denWertzuwachs von Immobilien
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