Die drei Frauen von Westport
vierzig Jahre her, doch sie hatte das Gefühl, wenn sie sich rasch umdrehte, könne sie immer noch die Holzschubladen voller Knöpfe und Litzen sehen und den altmodischen Schuhladen gleich nebenan.Wenn sie jetzt auf die Bank schaute, erkannte sie das einstige Rathaus wieder; das Starbucks war die Bücherei gewesen und die Jugendherberge die Feuerwehr. Die Erinnerungen tauchten wie Visionen vor ihrem inneren Auge auf und fügten sich zu einem Pfad, der in dieVergangenheit führte. Doch leider führten sie unweigerlich auch zu dieser Szene: BettyWeissmann, wie sie durch eine Stadt fuhr, die sie vor langer Zeit verlassen hatte – ohne den Mann an ihrer Seite, der wiederum sie verlassen hatte. Das dachte Betty, als sie abseits der Main Street einen Parkplatz fand, mit Blick auf den Fluss. All ihre Erinnerungen hatten sie nur hierhergeführt, zu einem Parkplatz, wo sie zum Glück eine Lücke gefunden hatte.
Sie stieg aus und schloss denWagen ab. Als sie noch mit Joseph hier gewesen war, hatte sie niemals denWagen abschließen müssen. Das machte sie Joseph nun innerlich zumVorwurf. Sie hatte sich angewöhnt, ihm vieles zumVorwurf zu machen. Das bekommt man dann eben, Joseph – haufenweise ungerechte Schuldzuweisungen. Das hat man davon, wenn man sich seiner Ehefrau entledigt, sie vor die Tür setzt und sich selbst überlässt am grenzenlosen dunklen Himmel einer Scheidung in späten Lebensjahren.
Eine ausgemusterte Frau muss blendend aussehen, wenn sie in die Stadt fährt, um sich mit dem Mann zu treffen, von dem sie ausgemustert wurde. Und mit den Anwälten, die ihm zur Seite stehen. Aus diesem Grund beschloss Betty, bei Brooks Brothers einen Seidenpulli und bei Tiffany ein Paar Goldohrringe in Knotenform zu erstehen. Ihre Kreditkarten waren nutzlos, schönen Dank auch, Joseph, aber Annie hatte Betty für Notfälle eine VISA-Partnerkarte beschafft, und wenn dies kein Notfall war, was dann? Anschließend kaufte Betty in einer großen Boutique, in der es hochwertige, überteuerte modische Kleidung gab, ein elegantes Kostüm, in dem sie würdevoll zu einemTreffen mit Anwälten antreten konnte. Diese Boutique war früher ein stilloser Herrenausstatter gewesen, erinnerte sie sich. Inzwischen war der Laden schick und strahlte R eichtum aus, und das extrem teure Kostüm, das sie dort erwarb, war für reiche und schicke Kunden gedacht. Derartig extravagante Sachen durfte Betty sich eigentlich nicht mehr leisten. Aber ähnlich wie Bettler hatten ausgemusterte Frauen keineWahl. Niemand würde ihrVorhaltungen machen, wenn sie sich schick machte, sagte sich Betty, doch sie hörte bereits Annies Stimme, die genau das tat.
Betty fuhr mit dem Zug nach New York. Als der Schaffner ihre Fahrkarte abknipste, fand sie das altmodische mechanische Klicken beruhigend und tröstlich. Der Zug war laut, durch die schmutzigen Fenster konnte man kaum etwas erkennen. Die Fahrt in die Stadt war inzwischen einfach zu anstrengend für sie. Im linken Auge hatte sie grauen Star; sie würde sich darum kümmern, wenn die Zeit gekommen war.Vorerst war ihre Frisur wichtiger. Betty hatte noch reichlich Zeit bis zu demTermin. Annie hatte ihr zwar gesagt, sie dürfe nicht mehr zu Frederic Fekkai gehen, aber Annie mochte denken, was sie wollte – sie hatte jedenfalls nicht immer R echt.
Ihr Anwalt wartete unten im Haus. Er machte einen besorgten Eindruck. Ein schmaler junger Mann mit kurzen mausbraunen Locken. Auch der R est von ihm – sein spitzes Gesicht, die kleinen Füße in kleinen Schuhen – hatte etwas Mausartiges. Nur seine Augen passten nicht. Sie waren hellgrau und gar nicht mausig. Wie sollte es dieser junge Mäuserich mit seinen traurigen Haaren nur mit Joseph aufnehmen, der auch ohne Haare viel imposanter war?
Betty blieb an dem Konferenztisch stehen, der sie an einen dunklenTeich erinnerte. Auf der anderen Seite desTeichs saß Joseph. Er musste schrecklich ungeduldig sein. Joseph konnte Anwälte und Formalitäten nicht ausstehen.
»Bitte setzen Sie sich, Mrs.Weissmann«, sagte Josephs Anwalt.
Ja, dachte sie. Mrs.Weissmann. Hören Sie das, Mr.Weissmann?
Betty bemerkte, dass Joseph neue Manschettenknöpfe trug. Das machte sie trauriger als die R eden der Anwälte und Josephs Unnahbarkeit. Joseph veränderte sich, und er veränderte sich ohne sie. Manschettenknöpfe, kleine Hanteln aus Gelbgold, veränderten ihn.
»Mein Mandant ist ein großzügiger Mann«, sagte Josephs Anwalt.
»Meine Mandantin ist eine vernünftige Frau«, sagte
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